Wer dachte, dass das Genre des „Creature-Feature“ heutzutage nur noch von Resterampen-Firmen wie „The Asylum“ beackert wird und deshalb die Hoffnung auf vernünftig produzierte Genre-Kost bereits aufgegeben hat, der dürfte angesichts Alexandre Ajas neustem Schocker CRAWL (2019) wahrlich entzückt sein. Seit kurzem ist der Survival-Thriller im Heimkino als Blu-Ray und DVD erhältlich, weshalb wir die Gelegenheit nutzen, eine dicke Empfehlung auszusprechen!
Originaltitel: Crawl
Drehbuch: Michael Rasmussen, Shawn Rasmussen
Regie: Alexandre Aja
Darsteller: Kaya Scodelario, Barry Pepper, Morfydd Clark, Ross Anderson, Jose Palma…
Artikel von Christopher Feldmann
Regisseur Alexandre Aja gehörte in den 2000ern zu den ganz großen Hoffnungen des modernen Horrorkinos, lieferte er doch mit HIGH TENSION (2003) einen viel beachteten Film aufs Parkett, der mit seiner ungeschönten Inszenierung und expliziten Splatter-Gehalt unter Horrorfans schnell zum Kult-Streifen avancierte. Aja gehörte zu den führenden Köpfen, die die französische Horrorwelle einleitenden, die noch weitere Werke hervorbrachte, welche heute in vielen Regalen umtriebiger Sammler zu finden sind. Für Aja führte der Weg recht schnell nach Hollywood, wo er von Altmeister Wes Craven unter die Fittiche genommen wurde, der den jungen Franzosen mit der Regie eines Remakes seines Kultfilms THE HILLS HAVE EYES (1977) beauftragte. Die Neuauflage bekam positive Kritiken und war ein moderater Erfolg an den Kinokassen. Es folgten MIRRORS (2008), mit Kiefer Sutherland in der Hauptrolle, sowie die Fun-Splatter-Rakete PIRANHAS (2010), bevor es Aja eher ruhig angehen ließ und vermehrt als Produzent in Erscheinung trat. Im Sommer meldete sich das Multitalent mit seiner neuesten Regie-Arbeit CRAWL (2019) zurück, welche wahrscheinlich eine der positivsten Überraschungen des Jahres darstellt. In Zeiten von SHARKNADO und Co., gelang Aja nämlich ein erstaunlich geradliniger und spannender Survival-Horrorfilm, der beweist, dass tierische Antagonisten durchaus noch für bodenständiges Genre-Kino geeignet sind.
Handlung:
Als ein Hurrikane der Stufe 5 den Bundesstaat Florida heimsucht, kann Hochleistungsschwimmerin Haley (Kaya Scodelario) ihren Vater Dave (Barry Pepper) nicht erreichen, der sich vermutlich immer noch zuhause befindet. Haley ignoriert alle Warnungen und Straßensperren und versucht schnellstmöglich Dave ausfindig zu machen. Im alten Familienhaus, welches im Moment zum Verkauf steht, findet Haley ihren Vater bewusstlos und schwer verletzt im, sich langsam mit Wasser füllenden, Keller vor. Das ist aber bei Weitem nicht das einzige Problem des Vater-Tochter-Gespanns, denn mit dem Wasser haben sich auch große Alligatoren unter dem Haus breit gemacht, die die Flucht an die Oberfläche erschweren. Und die sind verdammt hungrig!
CRAWL ist vielerlei Hinsicht ein Film, der meine Erwartungen und die vieler anderer Kinogänger untergraben hat, denn immerhin scheint es in der heutigen Zeit kaum noch vorstellbar, einen Film zu drehen, der im Genre des Tierhorrors verankert und gleichzeitig auch noch ernst zu nehmen ist. Zahlreiche Dekaden früher, sah die Sache noch anders aus.
Im Nachgang zu Steven Spielbergs Meisterwerk DER WEIßE HAI (1975), stürzten sich zahlreiche Filmemacher und Produzenten auf ähnlich gelagerte Stoffe, die ein beliebiges Tier zum blutrünstigen Antagonisten auserkoren hatten. Bären, Bienen, Piranhas, Alligatoren, ja sogar süße Hasen und schleimige Schnecken wurden für zahlreiche, mal mehr oder weniger trashige, Machwerke verwurstet. Dieser Trend ist schon vor langer Zeit versiegt und mittlerweile sind solche Filme nur noch im DVD-Regal zu finden, meist mit Schnürsenkelbudget gedreht, miesen Computereffekten ausgestattet und mit abgehalfterten Z-Promis besetzt. Vor allem Haie standen in den letzten Jahren hoch im Kurs. Was will also ein Film wie CRAWL noch innovatives leisten? Richtig, nichts!
Das ist auch wahrscheinlich einer der positivsten Aspekte dieses kleinen Alligatoren-Schockers, den kein geringerer als Sam Raimi mit seiner eigenen Firma produziert hat. Er und sein Regisseur Alexandre Aja wollen das Rad nicht neu erfinden, sondern aus den gängigen Rezepturen einen schnörkellosen, kurzweiligen Reißer schustern. Das ist den Beiden ziemlich gut gelungen, denn CRAWL kommt als klaustrophobisches Kammerspiel daher, welches seinen Fokus auf Spannung legt. Die Story ist dabei zweckmäßig, teilweise etwas konstruiert, bringt aber die Weichen für knackige Unterhaltung in Stellung. Gerade einmal 15 Minuten dauert es, bis Protagonistin Haley ihren Vater im Keller vorfindet und das Katz- und Mausspiel mit gefräßigen Reptilien beginnt. Dabei schafft es das Drehbuch, welches von den Brüdern Michael und Shawn Rasmussen geschrieben wurde, ziemlich gute Szenarien zu präsentieren, die durch die schnörkellose Regie zu echten Nägelkauern gemacht werden.
Natürlich spart sich der Film auch die obligatorischen Jump-Scares nicht, diese sind aber nie im Vordergrund zu finden, sondern sorgen hin und wieder für einen guten Moment und einen gepflegten Adrenalinschub. Primär bekommt der Zuschauer hier einen Mix aus Elementen von Filmen wie OPEN WATER (2003), THE SHALLOWS (2016) und dem Indie-Hit BLACK WATER (2007). Getreu dem Motto „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ zelebriert Alexandre Aja klassischen Alligatoren-Horror, dankenswerterweise ohne ironische Sperenzchen oder unpassenden Humor. CRAWL ist bierernst und das ist auch gut so. Die prominenten Reptilien zeigen schnell, dass mit ihnen nicht zu spaßen ist und schnappen nach allem, was sich im, immer mehr steigenden, Wasser bewegt. Das Setting ist dabei ein weiteres Highlight, denn der verwinkelte Keller sorgt für atmosphärischen Grusel und packenden Thrill. Wenn Haley durch das düstere Wasser schleicht und man nie weiß, wo jetzt welcher Alligator lauert, wird der Zuschauer zum mitfiebern angeregt.
Aber keine Sorge, trotz FSK 16-Freigabe wird es nicht zimperlich. Zwar protzt Aja nicht mit derbem Splatter wie in seinen frühen Jahren, hat aber ein paar blutige Spitzen auf der Pfanne, die dank der handgemachten Effekte schön schmerzhaft sind. Allgemein tut dem Film die Bodenständigkeit gut, Horror der alten Schule eben. Die einzigen digitalen Einschübe sind die Alligatoren selbst, die stammen nämlich komplett aus dem Rechner. Aber für einen Streifen mit einem Budget von gerade einmal 13 Millionen US-Dollar, sehen diese ziemlich gut aus. Auch Hauptdarstellerin Kaya Scodelario macht einen hervorragenden Job und gibt ein sympathisches, schlagfertiges Final Girl, dass mit guter Physis und gutem Schauspiel punkten kann. Sie ist auch diejenige, die gern etwas darüber hinwegtröstet, dass CRAWL, trotz seiner kurzen Laufzeit von nicht mal 90 Minuten, gegen Ende etwas die Puste ausgeht, da das Setting auf den letzten Metern doch etwas zu ausgereizt wird. Kleine Schönheitsfehler bei einem grundsoliden Film.
Die Blu-Ray und DVD-Auswertung, im Vertrieb von Universal Home Entertainment, punktet mit sehr guter Bild- und Tonqualität. Die Extras warten mit diversen Deleted Scenes, Featurettes, alternativen Motion Comics und einem Beitrag über die visuellen Effekte des Films auf. Genre-Fans können hier bedenkenlos zugreifen.
Fazit:
CRAWL (2019) ist eine positive Überraschung. Alexandre Aja erfindet mit seinem Reptilien-Survival-Horror das Rad sicher nicht neu, vermischt aber gekonnt die einzelnen Zutaten zu einem stimmigen Ganzen, welches knappe 90 Minuten knackige und spannende Unterhaltung bietet. Tierhorror muss eben nicht immer Trash sein, sondern kann auch heutzutage noch funktionieren. Ein Film, der sicher nicht zum Klassiker wird, für einen kurzweiligen Abend dennoch überdurchschnittlich gut gelungen ist.
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