Besser spät als nie. Bereits im Februar erschien über Explosive Media der Noir-Klassiker RATTENNEST (1995), erstmals hierzulande auf blauer Scheibe. Mit großer Verspätung flatterte auch uns ein Exemplar ins Haus, jedoch ist es freilich nie zu spät, einen guten Film zu empfehlen, denn das ist Robert Aldrichs virtuoser B-Krimi zweifellos!

Originaltitel: Kiss Me Deadly

Drehbuch: A.I. Bezzerides; nach dem gleichnamigen Roman von Mickey Spillane
Regie: Robert Aldrich

Darsteller: Ralph Meeker, Albert Dekker, Paul Stewart, Cloris Leachman, Marian Carr, Juano Hernandez, Wesley Addy…

Artikel von Christopher Feldmann

Das Genre-Kino der 1940er und 1950er Jahre war maßgeblich vom Film Noir geprägt, in Deutschland auch gerne „schwarze Serie“ betitelt, jene düstere und pessimistische Kriminalfilme, die ihre Wurzeln in der Hardboiled-Literatur der 1920er und 1930er Jahre haben. In der Regel wurden hier spannende Detektiv-Geschichten verarbeitet, die mit hartgesottenen Protagonisten aufwarteten und durch ihre düstere, meist negative Weltsicht einen ziemlich rauen Ton an den Tag legten. Der Bogart-Klassiker DIE SPUR DES FALKEN (1941) wird dabei meist als Initialzündung des Genres bezeichnet und es folgten viele ähnlich gelagerte Produktionen, die Filmgeschichte schreiben konnten. Etwas unter dem Radar lief meist RATTENNEST (1955), im Original KISS ME DEADLY, mit dem Regisseur Robert Aldrich den Roman RHAPSODIE IN BLEI (1952) von Kult-Autor Mickey Spillane adaptierte. Eigentlich war der Film Noir zu diesem Zeitpunkt schon auf dem absteigenden Ast, doch Aldrich lieferte mit seinem Film noch einmal einen wegweisenden Vertreter, der alle Stilmittel vereint und auch heute noch, vor allem auf visueller Ebene, beeindrucken kann.

Handlung:
Der Privatdetektiv Mike Hammer (Ralph Meeker) gerät unfreiwillig in einen turbulenten und gefährlichen Fall, als ihm eines Nachts die verängstigte Christina (Cloris Leachman) vor das Auto läuft. Hammer nimmt die junge Frau in seinem Wagen mit, doch wenig später werden beide von Unbekannten entführt, was Christina letzten Endes mit dem Leben bezahlt. Hammer hingegen überlebt einen fingierten Unfall und beschließt der Sache genauer auf den Grund zu gehen. Obwohl sein Freund, der Polizist Pat (Wesley Addy) dem erfahrenen Schnüffler vehement abrät, sich in diese Sache einzumischen, lässt Mike nicht locker und stößt bald auf ein großes Geheimnis, welches diverse Menschen das Leben kostet.

Robert Aldrich bricht in seinem Noir-Bastard mit der unterschwelligen Romantik des Film Noir. Man sollte sich darauf gefasst machen, dass Ralph Meeker als Protagonist nicht der Charmeur ist, wie ihn beispielsweise Humphrey Bogart in seinen Krimi-Einsätzen gab. Mike Hammer ist wahrlich ein harter Hund mit der Statur eines Kneipenschlägers, der ähnlich roh und brutal zur Tat schreitet, wie seine Antagonisten. RATTENNEST verzichtet auf gängige Hollywood-Konventionen und kommt überraschend ernst und nihilistisch daher. Der Detektiv handelt weniger aus einem edlen Antrieb, sondern aufgrund der fast schon krankhaften Sucht nach der Lösung eines Falls. Auch in seinem Berufsfeld ist der Schnüffler kein Edelmann, sondern ein Dienstleister der unteren Kategorie, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, untreue Ehefrauen zu entlarven.

An diesem pessimistischen, gar entrückten Bild hält der Regisseur konsequent fest, um darin die gängigen Stilmittel des Genres zu verarbeiten. Vom „zur falschen Zeit, am falschen Ort“-Motiv, bis hin zur Femme Fatale ist hier alles vertreten, was einen echten Noir-Krimi ausmacht. Das Drehbuch aus der Feder von A.I. Bezzerides ist dabei gespickt mit zahlreichen überraschenden Wendungen, so dass auch der gängige Kriminalfilm-Fan ganz und gar auf seine Kosten kommt. Auch eine politische Note spart Aldrich nicht aus, die Angst vor dem kalten Krieg und der atomaren Bedrohung ist hier allgegenwärtig und findet im packenden Finale ihren Höhepunkt. Auf der narrativen Ebene ist RATTENNEST ist Fest für Fans von Groschenromantik und schlagkräftigen Anti-Helden.

Aber auch optisch punktet der Streifen mit einer, für die damalige Zeit, untypischen Virtuosität. Kameramann Ernest Laszlo zaubert einprägsame Schwarz-Weiß-Bilder, die mit ihren pfiffigen Einstellungen und einem dichten Kontrast stimmungsvoll überzeugen können. Hier gibt es einige Szenen, die auch 65 Jahre später noch einiges her machen. Aldrich selbst, der mit DAS DRECKIGE DUTZEND (1967) und DIE HÄRTESTE MEILE (1974) weitere maskuline Meisterwerke auf die Leinwand brachte, setzt seinen Protagonisten konsequent und rabiat in Szene. Frauen sind hier nur schönes Beiwerk und, wie im Film Noir üblich, entweder schwache Opfer oder hinterlistige Miststücke. Aus heutiger Sicht mag dieses Weltbild veraltet wirken, 1955 war das eben noch so. Auch die politische Komponente ist gut in den Film integriert und ist für ein erinnerungswürdiges Schlussbild verantwortlich.

Auch heute erweist sich RATTENNEST als absolut zitierfähig, von den cleveren Effekten und der einsaugenden Bildsprache mal abgesehen. Filmfans und eingefleischte Cineasten werden diverse Verbindungen zu anderen Produktionen erkennen, die sich wohl bei Aldrichs urbanem Krimi bedient haben und damit ist nicht nur der MacGuffin gemeint, der nochmal Verwendung in einem weiteren berühmten Film eines gewissen Quentin Tarantino Verwendung fand. Darüber hinaus bietet RATTENNEST über jeden Zweifel erhabene Schauspieler, die diese schmal budgetierte B-Produktion noch veredeln.

Die Blu-Ray aus dem Hause Explosive Media, welche über Koch Films erschienen ist, zeigt den Noir-Klassiker in hervorragender Qualität. Hier wurde das Master der Criterion Collection verwendet, was immer eine gute Referenz ist. In Sachen Bonusmaterial ist die Scheibe etwas schmal bestückt, lediglich der Original-Kinotrailer und eine Bildergalerie mit seltenem Werbematerial ist enthalten. Natürlich kann man bei einem Film aus dem Jahr 1955 seine Erwartungen nicht so hoch ansetzen aber hier hätte ich einen Audiokommentar oder eine Art Featurette über die Einordnung in das Genre begrüßt.

Fazit:
Auch wenn Orson Welles‘ Abgesang IM ZEICHEN DES BÖSEN (1958) als Schlusspunkt des Film Noirs gewertet wird, dürfte Robert Aldrichs beinharter Krimi RATTENNEST (1955) einer der letzten echten Genre-Perlen sein. Ein Film, der auch heute noch begeistern kann und in jede gut sortierte Filmsammlung gehört. Absolute Kaufempfehlung!

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