Ich erhebe mein Gläschen Eierlikör auf diesen großen Künstler, der es geschafft hat, sich in die Riege von Freddy Mercury, Ray Charles, Johnny Cash, Tina Turner und den Comedian Harmonists einzureihen. Die Rede ist von Musikern, deren Leben auf die große Leinwand gebannt wurde. Keine Frage, Udo Lindenbergs bewegtes Leben bietet genügend Stoff, um einen Spielfilm zu füllen. Doch hat das Biopic von DIE WEISSE MASSAI-Regisseurin Hermine Huntgeburth die Power, ein deutscher BOHEMIAN RHAPSODY zu werden? Wir wollten es wissen und haben die Anlage voll aufgedreht, die Scheibe von DCM, die den Film jetzt im Heimkino veröffentlicht haben, in den Player geworfen, Hut und Sonnenbrille aufgesetzt und ein Glas Likörchen eingegossen. Keine Panik, hier kommt unser Fazit.
Regie: Hermine Huntgeburth
Darsteller: Jan Bülow, Jesse Hansen, Julia Jentsch, Charly Hübner, Detlev Buck, Saskia Rosendahl
Artikel von Christian Jürs
Der 1946 in Gronau geborene Udo Lindenberg ist Kult. Man muss ihn nicht mögen. Aber er ist Kult. Da gibt es keine zwei Meinungen. Seit Ende der Sechziger musiziert der Mann nun schon. Sein Durchbruch gelang ihm 1973 mit dem Album Andrea Doria. Seither landete er dutzende Hits und bei seinen Konzerten füllt er auch heute noch ganze Stadien (wenn nicht gerade Corona wütet). Er ist Maler mit eigener Ausstellung im Alsterhaus, hat ein eigenes Musical, sein Konterfei ziert Briefmarken und eine Likörmarke gibt es auch noch. Was läge da näher, als dem Quasi-Erfinder der deutschsprachigen Rockmusik ein Biopic zu spendieren? Zu erzählen gibt es ja genug.
Auf dem Regieposten nahm Hermine Huntgeburth Platz, die sich einen Namen mit den Kinofilmen Die weiße Massai und Bibi Blocksberg gemacht hat. Fürs Fernsehen hat sie zudem Folgen von Polizeiruf: 110 und Tatort inszeniert. Eine „auf Nummer Sicher gehen“ Verpflichtung seitens der Produzenten, denn Huntgeburth steht für solide Arbeit, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ob das reicht, ein großes Biopic zu inszenieren? Wir werden sehen.
Das große Plus von Lindenberg! Mach Dein Ding ist definitv Jan Bülow in der Rolle des erwachsenen Udo. Glaubwürdig verkörpert er den schnodderigen Musiker auf der Suche nach Erfolg und Anerkennung. Auch der Rest des Casts geht in Ordnung. Immerhin spielen versierte Schauspieler wie Julia Jentsch (Sophie Scholl – Die letzten Tage), Charly Hübner (Neger, Neger, Schornsteinfeger), Saskia Rosendahl (Mein Ende. Dein Anfang.) und Max von der Groeben (Fack ju Göhte) mit. Lediglich Detlev Buck in der Rolle des Talentsuchers Mattheisen, der sich im Laufe der Handlung Lindenbergs annimmt, wirkt, wie in jeder seiner Rollen. Der Mann kann halt nur den Buck. Er ist eine Type, kein echter Schauspieler.
Kommen wir zur Handlung von Lindenberg! Mach Dein Ding. Der Film beginnt mit einer Aufnahme, in der der jung-erwachsene Udo betrunken durch die Wüste taumelt und zusammenbricht. Sein Blick geht gen Himmel, wo die Geier bereits kreisen. Bevor ich mich fragen kann, ob wirklich der richtige Film auf die Blu-ray aufgespielt wurde, katapultiert man uns zurück ins Jahr 1951, in dem wir Zeuge werden, wie der fünfjährige Lindenberg (in dieser Phase dargestellt von Jesse Hansen) unter seinem betrunkenen Vater (Charly Hübner) leidet. Seine Mutter (Julia Jentsch) hingegen ist eine liebevolle Frau, die auch mal Händchen hält. Dabei ist Papa natürlich kein böser Mensch. In einer Szene aus Lindenbergs früher Jugend (jetzt Claude Heinrich), erklärt ihm sein Vater, dass er den Job als Klempner nur übernommen hat, um die Familientradition fortzusetzen. Doch Papa verkraftet sein Leben nicht. Er liegt immer wieder depressiv tagsüber im Bett oder verspielt sein Geld betrunken in der Eckkneipe. Udo übernimmt schließlich eine Kellnerlehre, die er allerdings nur sehr halbherzig verfolgt. Nach einigen Eskapaden schmeißt er diese hin, um einen Job als Drummer einer Band zu übernehmen, was schließlich zur eingangs erwähnten Wüstenszene führt. Eine filmische Klammer, die genutzt wird, die leider wenig notwendig erscheint und bereits in der Mitte des Streifens aufgelöst wird.
In der ersten Hälfte von Lindenberg! Mach Dein Ding springt der Film zwischen der Kindheit, Jugend und junger Erwachsenenzeit, in der Udo in Hamburg der Suche nach Erfolg hinterhereilt, hin und her. Naja, von Eile kann keine Rede sein, denn primär sehen wir Udo beim Saufen, Schlagzeug spielen in einer Band, Mädchen vernaschen, Saufen, anderes Mädchen vernaschen, Saufen… Einmal darf er mit seinem Kumpel Steffi Stephan (Max von der Groeben) auch auf einen LSD Trip gehen. Gelegenheit, eine schlecht getrickste Variante der Tripszene aus The Big Lebowski einzubauen. Udo ist halt irgendwie auch „der Dude“. Der Film lässt sich Zeit, uns die Figur Udo Lindenberg nahe zu bringen, überflüssig viel Zeit, denn immer wieder tritt der Film auf der Stelle, springt in den Zeiten hin und her, ohne neue Erkenntnisse zu vermitteln und stattdessen zu wiederholen. Gut, wir erfahren, wie die Songs Cello und Mädchen aus Ostberlin entstanden sind. Doch der Filmtitel suggeriert uns einen Rundumblick über das Leben seines Stars, da der Titelzusatz unmissverständlich auf den Hit aus dem 2008er Album Stark wie zwei hinweist. Aber, Pustekuchen!
Stattdessen folgen wir 134 Minuten lang den Anfängen Lindenbergs. Daraus resultiert, dass der Soundtrack aus nur sehr wenigen, frühen Lindenberg-Songs besteht und sich auf Oldies aus der Schmiede von The Kinks oder Creedence Clearwater Revival stürzt. Kein Sonderzug nach Pankow, kein Herz, dass man nicht repaieren kann. Der Film endet mit dem ersten, großen Bühnentriumph, wenn Lindenberg, der zunächst völlig besoffen auf der Bühne stürzt, seinen Hit Andrea Doria zum Besten gibt.
Natürlich ist es ehrbar, uns die Figur Udo Lindenberg zu erklären. Es gibt kleine Andeutungen, zum Beispiel die Faszination, ein Leben im Hotel zu führen. Aber das hätte man auch in einer Stunde Film geschafft und somit Zeit gehabt, uns die wirklich spannenden Geschichten zu erzählen. Doch von der WG-Zeit mit Otto Waalkes und Nina Hagen, seinem Aufeinandertreffen mit Erich Honecker und dem unerfüllten Wunsch, in der DDR auftreten zu dürfen, den Jahren im Hotel Atlantic oder dem Füllen großer Hallen bis ins hohe Alter erfahren wir…NICHTS! Der Titelzusatz entpuppt sich als Vorgaukelung falscher Tatsachen.
Zugegeben, die Kulissen sind großartig. Insbesondere die frühen 70er werden perfekt eingefangen. Auch die Maske ist gelungen und Jan Bülow ist einfach die perfekte Wahl für die Hauptrolle. Das ändert aber nichts daran, dass der Film mutlos auf der Stelle tritt. Es fehlt einfach der Rock´n Roll in der Geschichte, der Glamour, um sich mit den eingangs erwähnten Biopics messen zu können. Am Ende darf der echte Udo Lindenberg auf dem Barhocker sitzend den melancholischen Abspannsong einleiten. Ein kleines, viel zu spätes Zugeständnis an die Fans, die mit Sicherheit auch gern die Geschichte über 1973 hinaus gesehen hätten.
Bild und Ton der Veröffentlichung sind selbstverständlich top. Im Bonusbereich gibt es eine Featurette, einen Premienclip, ein Musikvideo (Niemals daran gezweifelt), diverse Interviews, einen Audiokommentar mit Regisseurin Hermine Huntgeburth und Produzent Michael Lehmann, Trailer und Trailershow, sowie der Hörfilmfassung für Sehbehinderte.