Wenn ein Film mit einer durchaus hochkarätigen Besetzung seinen Weg direkt ins Heimkino findet, ist das meist kein besonders gutes Zeichen und spricht oft für die Tatsache, dass der Verleih kein Vertrauen in das Produkt hat. Im Fall von THE NIGHT CLERK (2020), der über Eurovideo erschienen ist, ist das ähnlich, kann der Thriller doch mit veritablen Gesichtern wie Tye Sheridan, Ana de Armas und Helen Hunt punkten, der Hund liegt also woanders begraben. Wo? Das erfahrt ihr in unserer Kritik!
Originaltitel: The Night Clerk
Drehbuch & Regie: Michael Cristofer
Darsteller: Tye Sheridan, Ana de Armas, John Leguizamo, Helen Hunt, Jonathon Schaech…
Artikel von Christopher Feldmann
Michael Cristofer dürfte den meisten Zuschauern vermutlich als Antagonist in der erfolgreichen TV-Serie MR. ROBOT (2015-2019) bekannt sein. Die wenigsten werden wissen, dass der gute Michael auch als Drehbuchautor und Regisseur tätig ist. So schrieb er nicht nur das Skript zu DIE HEXEN VON EASTWICK (1987), sondern inszenierte auch die beiden Dramen GIA – DER PREIS DER SCHÖNHEIT (1998) und ORIGINAL SIN (2001), beide mit Angelina Jolie in der Hauptrolle. 19 Jahre später hat sich das Allroundtalent nun an ein neues Projekt gewagt, bei dem er sowohl als Autor, als auch als Regisseur fungiert hat. Allerdings scheint ihm die knapp zwei Dekaden lange Auszeit weniger gut getan zu haben, als man denken würde. denn THE NIGHT CLERK (2020) ist, trotz schöner Besetzung, eine echte Schlaftablette.
Handlung:
Bart (Tye Sheridan) leidet unter dem Asperger-Syndrom, einer Form des Autismus. Soziale Kontakte sind ihm fremd und der alltägliche Umgang mit Menschen fällt ihm sichtlich schwer, weshalb er in seinem Job als Hotelportier nur in der Nachtschicht arbeitet, in der er kaum mit Gästen zu tun hat. Um seine Sozialkompetenz zu verbessern, studiert er das Verhalten der Gäste, die er per versteckter Kamera heimlich beobachtet. Als er auf diese Weise eines Tages Zeuge eines Mordes wird, ist Bart schnell überfordert. Das bleibt auch Detective Espada (John Leguizamo) nicht verborgen, der den Sonderling genauer ins Visier nimmt, nicht ahnend, dass die Antworten auf Barts heimlichen Aufnahmen zu finden sind. Dieser findet schnell Ablenkung nach seiner Versetzung in ein anderes Hotel, in dem er die schöne Andrea (Ana de Armas) kennenlernt.
THE NIGHT CLERK schickt sich an, das durchaus interessante Thema des Asperger-Autismus aufzugreifen, was prinzipiell keine schlechte Idee ist. Asperger wird zu den Störungen der neuronalen und mentalen Entwicklung gezählt, hat aber, anders als vergleichbare Formen, in der Regel keine Auswirkung auf die Sprachentwicklung und sorgt nicht für eine Intelligenzminderung. Gerade im Thriller-Genre erscheint die Thematisierung reizvoll, doch was Regisseur Michael Cristofer am Ende damit anstellt, ist leider mehr ein Reinfall, denn eine Offenbarung.
Die Geschichte, um einen voyeuristischen Nachtportier, der zufällig Zeuge eines Mordes wird, erinnert stark an Hitchcocks DAS FENSTER ZUM HOF (1954) und schlägt Bögen zum klassischen Noir-Film. Vom unbedarften Bürger, der in ein Verbrechen hineingezogen wird bis hin zur augenscheinlichen Femme Fatale zitiert Cristofer so ziemlich alle Genre-Klischees, ohne sie aber je zu hinterfragen oder gar zu brechen. Im Grunde genommen ist THE NIGHT CLERK aber auf jeden Fall eines, nämlich ziemlich öde. Dass liegt vor allem an der Tatsache, dass der Plot nie vom Fleck kommt und auch keine Spannung bietet, die die 90 Minuten Laufzeit sehenswert erscheinen lassen. Bis auf die Ausgangssituation, scheint dem Regisseur und Autoren hier wenig eingefallen zu sein, denn sobald der erste Mord geschehen ist, tritt das Skript auf der Stelle. Hier herrscht auf jeden Fall Nachholbedarf in Sachen Krimi-Dramaturgie und Murder Mystery, denn so lasch und vergessenswert, war selten auch nur ein Film, den ich in den letzten Jahren gesehen habe, zumal das Ganze hier unter der hanebüchenen Konstruktion leidet.
Würde Hauptfigur Bart seine Aufnahmen einfach herausrücken, wäre der Film schnell vorbei. Hier wird sich die Handlung gut und gerne so zurecht gebogen, dass man solche Situationen umschifft. Auch in die Asperger-Krankheit scheint man kein großes Interesse zu haben, denn sie wird immer nur dann wirklich verwendet, wenn sie gebraucht wird. Wirklich thematisiert und angemessen vertieft, ja vielleicht sogar damit gearbeitet, wird jedenfalls nie. Dazu kommen noch fade Dialog, die dafür sorgen, dass man Probleme damit hat, die Augen offen zu halten.
Auch die Inszenierung ist recht langweilig geraten. Das Budget war sichtbar gering, was schon an den Sets und der Ausstattung zu erkennen ist. Der Großteil der Handlung spielt im Hotel (in zwei Hotels um genau zu sein), welches aber so reizlos ist, dass man wirklich denken könnte, es handelt sich um ein Stundenhotel. Allerdings kommt es mehr den sterilen Mitteklasse-Absteigen näher, in denen irgendwelche Vertreter für eine Nacht einchecken, um die Kosten niedrig zu halten. Das Ganze wird im ebenso sterilen Digitallook dargeboten, der so überhaupt nicht filmisch aussieht. Das ist insofern schade, da das Material ja durchaus Potenzial für einen klassischen Thriller im Geiste von Hitchcock, De Palma und Co. bietet, dieses aber einfach zu keiner Zeit genutzt wird. Langeweile macht sich breit, bis der Film eben nach 90 Minuten auch einfach vorbei ist. Lediglich die soliden Darsteller holen noch das Maximum heraus. Besonderes Eye-Candy ist natürlich Ana de Armas, die gerade auf dem Sprung zum Weltstar ist und den Film mit ihrer sympathisch natürlichen Note bereichert. Auch READY PLAYER ONE-Star Tye Sheridan gibt sich sichtlich Mühe aus dem lausigen Material noch die Rosinen herauszupicken, wechselt in seinem Spiel aber regelmäßig zwischen Natürlichkeit und Overacting. John Leguizamo und Helen Hunt lässt man hingegen schauspielerisch verhungern.
Die Scheibe aus dem Hause Eurovideo bietet gute Bild- und Tonqualität. Unter den Extras befinden sich zwei Featurettes und eine Trailershow.
Fazit:
Wenn es derzeit einen Thriller gibt, den ihr euch nicht ansehen müsst, dann ist es THE NIGHT CLERK (2020). Völlig frei von einem Sinn für Dramaturgie, Spannung oder gar wirkliche Charaktere, ist der Film eine wahre Luftnummer, die aus einer soliden bis guten Grundlage wirklich NICHTS herausholt. Lediglich die Hauptdarsteller können überzeugen und bemühen sich sichtlich, das Ganze nicht komplett in der Bedeutungslosigkeit versinken zu lassen.
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