Am 20. Dezember 2020 veröffentlichte WICKED VISION (in Zusammenarbeit mit DONAU FILM) dieses Spätwerk von Tinto Brass erstmalig ungekürzt in deutscher Sprache auf Blu-ray. Die Veröffentlichung ist limitiert auf 1000 Stück. Trotz vieler Schnitte wurde das Softsex-Drama „Eine unmoralische Frau“ (1992) damals kurz nach seiner Veröffentlichung auf Video (VPS VIDEO) indiziert und erst am 28. Juni 2019 (nach rund 25 Jahren) wieder vom Index gestrichen. Rückblickend erscheint die Indizierung durchaus verwunderlich, denn auch in der ungekürzten Fassung ist der Streifen recht soft und explizite Details gibt es nicht zu sehen. Dafür legt Tinto Brass sein Augenmerk stark auf stramme Hintern und üppige Schambehaarung. Hin und wieder ist auch erigierter Penis zu sehen, wobei es sich hier nur um Prothesen handeln soll. Tinto Brass sagte über seinen Film: „Der Charakter jedes Menschen spiegelt sich in seinem Arsch wider.“ Hauptdarstellerin Claudia Koll musste ihren Arsch dann auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit in die Kamera halten.
Originaltitel: Così fan tutte
Regie: Tinto Brass
Darsteller: Claudia Koll, Paolo Lanza, Franco Branciaroli, Isabella Deiana
Artikel von Holger Braasch
Zuallererst muss ich erwähnen, dass ich mit dem Werk von Tinto Brass nicht so vertraut bin. Bekannt waren mir bisher nur Salon Kitty (1976) und Caligula (1979), die ich beide sehr schätze, auch wenn sich der Regisseur von Letzterem distanziert hat. Die Produzenten entzogen Tinto Brass die Beteilung am Endschnitt von Caligula. Bob Guccione, einer der Produzenten, ließ sogar Hardcore-Sequenzen nachdrehen und fügte sie (gegen den Willen von Tinto Brass) in den Film ein. Trotz aller Skandale und schlechter Kritiken, die der Film nach sich zog, wurde Tinto Brass durch Caligula auch einem größeren Publikum bekannt. Allerdings bescherte dieser Streifen dem Regisseur einen zweifelhaften Ruf als Exploitation-Filmer, der auch vor Pornographie nicht zurückschreckt. Für Tinto Brass war der Film ein künstlerisches Desaster und so widmete er sich wieder kleineren Produktionen zu, bei denen er auch die Kontrolle über die Veröffentlichung hatte. Dabei bewegte sich Brass zunehmend im Erotikfilm-Sektor, da er an die kommerziellen Erfolge seiner früheren Filme nicht mehr anknüpfen konnte. Sein 1980 entstandener Sodom 2000 würde mich schon sehr interessieren, leider gibt es noch keine deutsche Veröffentlichung auf DVD und/oder Blu-ray. 1981 gab es jedenfalls einen deutschen Kinostart.
Tinto Brass (bürgerlich: Giovanni Brass) wurde am 26. März 1933 in Mailand geboren und begann seine Filmkarriere als Regieassistent von Roberto Rossellini. In den 60ern war er als Experimental- und Avantgarderegisseur aktiv und wurde sogar mit Michelangelo Antonioni verglichen. 1968 bot ihm Paramount Pictures die Regiearbeit für Uhrwerk Orange an, was Tinto Brass jedoch aus terminlichen Gründen ablehnen musste. In seiner Spätphase wurde Tinto Brass vor allem als Softsex-Filmer bekannt, der in seinen Filmen auch selber kleine Gastauftritte hatte, ganz im Stil von Alfred Hitchcock. Eine unmoralische Frau ist da keine Ausnahme. Così fan tutte (so der Originaltitel) basiert auf der gleichnamigen Oper, die von Lorenzo Da Ponte für Wolfgang Amadeus Mozart geschrieben wurde. Die Uraufführung war im Januar 1790. Die Geschichte wurde frei übernommen und zu einem zeitgenössischen Erotik-Drama umgemodelt. Der Inhalt ist schnell erzählt und alles andere als originell.
Diana (Claudia Koll) ist eine Frau, die mit dem etwas steifen Paolo (Paolo Lanza) verheiratet ist. Obwohl sie Paolo liebt, spielt sie gerne Verführungsspiele mit anderen Männern. Nur den Annäherungsversuchen ihres Chefs, dem Dessous-Ladenbesitzers Silvio (Renzo Rinaldi), widersetzt sie sich vehement. Um ihr sonst etwas eintöniges Sexualleben anzuregen, erzählt sie Paolo von ihren Sex-Abenteuern. Dieser ist davon wenig angetan, allerdings hält er Dianas Erzählungen zunächst nur für Fantasien. Unter dem Einfluss ihrer lesbischen Freundin Antonietta (Isabella Deiana) und ihrer schlüpfrigen Schwester Nadia (Ornella Marcucci) beginnt Diana jedoch, die Vorgänge weiter voranzutreiben. Als der französische Antiquitätenhändler Donatien Alphonse (Franco Branciaroli) Spuren auf ihrem Körper hinterlässt, merkt Paolo, dass Diana ihm keine Märchen erzählt hat und setzt sie vor die Tür. Diana sucht nach weiteren sexuellen Abenteuern, doch mehr und mehr wird ihr klar, dass ihr Paolo fehlt. Die beiden beginnen, über die Natur von Sexualität und Monogamie nachzudenken – und über ihre Zukunft als Paar.
Eine unmoralische Frau entstand zu einer Zeit, als der Softsex-Film seine Blütezeit längst hinter sich hatte. Fürs Kino produzierte Genre-Filme waren durch den Videomarkt nicht mehr so populär. Insofern ist es bemerkenswert, dass Eine unmoralische Frau doch noch eine deutsche Kinoauswertung bekommen hat. Verstärkt kamen Videoproduktionen auf den Markt, die billig produziert wurden und statt auf Anspruch voll auf Hardcore setzten. Da war Tinto Brass mit seinem Erotik-Drama schon richtig Old School, denn die Inszenierung ist noch sehr den 70er-Jahren verbunden, wo alles etwas unbedarfter über die Bühne ging. Anfang der 90er-Jahre wirkte ein Film wie Eine unmoralische Frau schon fast etwas naiv. Trotzdem bekam der Film in mehreren Ländern Probleme mit der Zensur. Die deutsche Fassung wurde an etlichen Stellen geschnitten, wobei es sich oft nur um Mini-Schnitte handelte. Insgesamt fehlten gut 7 (PAL-)Minuten, wobei auch die DVD-Veröffentlichung von Laser Paradise gekürzt war.
Hauptdarstellerin Claudia Koll war hauptsächlich als Theater-Schauspielerin aktiv. Ansonsten spielte die katholisch erzogene Italienerin vor allem in italienischen TV-Produktionen mit. So war sie auch in der (hierzulande nicht veröffentlichten) Mini-Serie L‘ Impero (2001) zu sehen, bei der Lamberto Bava Regie führte. Über ihre Zusammenarbeit mit Tinto Brass äußert sie sich im Interview von 2001 (siehe Bonusmaterial) sehr positiv. In späteren Interviews hieß es jedoch: „Ich bedauere es, für Tinto Brass gespielt zu haben.“ (Quelle: tipsforwomens.org) und „Ich habe während der Dreharbeiten sehr gelitten. Mir wurde klar, dass ich falsch lag, ich wurde nicht so erzogen.“ (Quelle: movieplayer.it)
Trotz Arsch-Fetischismus und Sexfilm-Klischees, zeichnet der Film seine Hauptfigur Diana als selbstbewusste und emanzipierte Frau und stellt zugleich die heilige Ehe auf den Prüfstand. Bei Tinto Brass ist Treue keineswegs der Schlüssel zur gemeinsamen Glückseligkeit. Gelegentliche Affären tragen vielmehr dazu bei, die Beziehung frisch und aufregend zu halten. Da gehen die Meinungen natürlich stark auseinander, aber in diesem Film wirkt das alles durchaus glaubwürdig, was einerseits an den gut aufgelegten Darstellern liegt, andererseits der durchaus sensiblen Inszenierung von Tinto Brass zu verdanken ist, die zudem auch mit stilvoller Beleuchtung und eleganter Kameraarbeit punkten kann. Eine etwas längere Party-Szene zeigt ein (nicht nur) kleidungsmäßig höchst freizügiges Partyvolk, das zu dem damals angesagten Techno-Sound ekstatisch mit den Hüften wackelt.
Die Blu-ray von Wicked Vision (Ordinary Dreams Collection 02) kommt in einem Keep Case von Scanavo, welches mehr Höhe für den Einleger bietet, als eine übliche Blu-ray-Hülle. Laufzeit und Bildformat entsprechen (laut OFDb) der britischen Blu-ray von Arrow Films. Das Bild wurde offenbar auf 16:9 maskiert, jedenfalls hatte ich mitunter den Eindruck, dass am oberen Rand das Bild leicht beschnitten ist. Allerdings habe ich keine andere Veröffentlichung zum Vergleich vorliegen. Die Qualität ist jedenfalls glasklar. Aufgrund der damaligen Zensurschnitte (die FSK geprüfte DVD von Donau Film ist gekürzt), weist der deutsche Ton etliche Stellen im Original auf, die optional deutsch untertitelt sind. Hier kann man sich ungefähr ein Bild machen, was damals alles gekürzt wurde. Alternativ kann man aber auch auf den italienischen Originalton mit optionalen deutschen Untertiteln ausweichen. Im Bonusmaterial sind enthalten: Originaltrailer, entfernte Szenen (ca. 9 Min.), Interview mit Tinto Brass (ca. 15 Min.), Interview mit Claudia Koll (ca. 11 Min.), Bildergalerie (selbstlaufend / ca. 3 Min.) Zu den Interviews gibt es optionale deutsche Untertitel. Zusätzlich gibt es noch Trailer von Unmoralische Engel (Französisch), Felicity – Sündige Versuchung (Deutsch), Eden und danach (Französisch) und Paprika (Italienisch) in der Programmvorschau. Außerdem enthält die Veröffentlichung noch ein Wendecover mit alternativem Artwork und ein 24-seitiges Booklet mit einem informativen Text von Thorsten Hanisch.
Trailer: