Hörspiele sind meist ein reines Unterhaltungsprodukt. Ob jugendliche Detektive, Schauergeschichten, Märchenerzählungen oder erwachsene Krimis, nur zu gerne lassen wir uns von diesen Geschichten berieseln. Dass es auch anders geht, beweist uns WOLFY OFFICE einmal mehr mit einem weiteren, eingekauften Hörspiel, dass nicht zu Unterhaltungszwecken dienen soll und volle Aufmerksamkeit verlangt. In Arzu geht es um den knapp zehn Jahre zurückliegenden Ehrenmord an der gerade einmal 18-jährigen Jesidin Arzu Özmen durch ihre fünf Geschwister. Harter Tobak, der so manchem Hörer auf den Magen schlagen dürfte.
Sprecher: Marc Schülert, Rana Farahani, Hasan H.Tasgin, Doguhan Kabadayi, Suri Abbassl
Artikel von Christian Jürs
Immer, wenn ich den obligatorischen, schwarzgenoppten Umschlag aus dem Hause Wolfy Office aus dem Briefkasten fische, ist Grund zur Freude angesagt, denn dann gibt es wieder Hörspielnachschub zum Rezensieren. Da der vierte und letzte Teil der Thrillerreihe Die Prüfung längst überfällig ist, freute ich mich vor ein paar Wochen besonders, als es wieder soweit war und ich einen weiteren pornösen Wolfy-Umschlag in Händen hielt. Doch nach dem Öffnen war die Verwirrung groß. Was sollte Arzu denn nun wieder sein?
Die Antwort lautet: Ein ebenso mutiges, wie wichtiges Hörspielexperiment, welches den tragischen, gewaltsamen Tod der im November 2011 von ihren eigenen Geschwistern gerichteten deutsch-kurdischen Jesidin Arzu Özmen aus Detmold rekonstruiert. Man möchte sich an den Kopf fassen, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass es sich um einen sogenannten Ehrenmord handelte, mit dem ihre Schwester und die drei Brüder den Namen der Familie wieder reinwaschen wollten. Denn Arzu hat Schande über die Familie gebracht, als sie sich in eine Liebesbeziehung mit einem Deutschen eingelassen hat. Furchtbar, wenn mittelalterliche Religionsregeln vor Nächstenliebe geschoben werden. Den genauen Tathergang kann man bis heute nur bedingt nachverfolgen. Fakt ist, dass die Familienbande nachts gewaltsam in das Haus von Arzus Freund eindrang, wo sich diese bereits, aus Angst vor ihrer Familie, versteckt hielt. Ihren Partner schlug man zusammen und kidnappte die junge Frau, um ihr, nach Aussage der Täter, „den Kopf zu waschen“. Der Mord war angeblich nie geplant, sondern sei eine Kurzschlusshandlung eines der Brüder gewesen, nachdem Arzu sich mit Spucken und Tritten zur Wehr setzte.
Regie und Skript übernahm eine Filmakademiestudentin, die sich mittlerweile von dem Werk distanziert. Sie wollte damals mit diesem Hörspiel nicht nur Arzu Özmen gedenken, sondern auch einen Appell zum Innehalten starten. Ein Vorhaben, welches man als gelungen bezeichnen kann. Für den Schnitt und die Tonabmischung war Sirius Kestel verantwortlich, der bereits für sein geniales, ebenfalls von Wolfy Office vertriebenes Hörspiel Fünf nach Acht von mir, zu Recht, in den höchsten Tönen gelobt wurde. Dieses Lob kann ich ebenfalls für Arzu weitergeben.
Zunächst einmal gebührt den Machern der höchste Respekt, ein solch brisantes und wichtiges Thema in Hörspielform zu verarbeiten. Die Idee, die Aufnahmen nicht im Studio zu vollziehen, sondern „on location“ in einer Wohnung, dem Auto und der freien Natur, sorgen zudem für eine besonders realistische Sounduntermalung, die nur mit wenigen, weiteren Soundeffekten unterstützt werden musste. Auch die Sprecher sind richtig gut, auch wenn Arzu Sprecherin Rana Farahani für meinen Geschmack hier und da zu abgeklärt ihrem düsteren Schicksal entgegen geht. Dies soll natürlich die Stärke ihrer Persönlichkeit widerspiegeln, ich halte es allerdings trotzdem für wenig realistisch.
Ebenfalls wenig realistisch, zumindest im ersten Moment, kommen die Zwischensequenzen daher, in denen sich Arzu immer wieder in eine Fantasiewelt flüchtet, in der sie sich ihrer Mutter stellt und ihrem Bruder Osman als Monster begegnet. Erst im Nachhinein weiß man diese durchaus atmosphärischen Momente zu schätzen, zumal diese mit der Erzählstimme von An Kuohn perfekt untermalt werden. Generell sind die Sprecher richtig gut besetzt, wobei der brutale Osman von Hasan H. Tasgin eingesprochen, besonders hervorsticht.
Wer nun neugierig geworden ist, dem kann ich besten Gewissens dieses vom Bundesprogramm Demokratie Leben geförderte Projekt ans Herz legen. Einziger wirklicher Kritikpunkt ist meines erachtens, dass man auf die Verurteilungen der Täter, inklusive des anstiftenden Vaters, gerne noch mit ein paar Sätzen hätte eingehen dürfen. Es ist fast erschreckend, dass, bis auf den eigentlichen Täter Osman, heute alle Beteiligten wieder auf freiem Fuß sind.
Wer zur CD-Variante greift, der bekommt noch ein 18 minütiges Bonushörspiel obendrauf, welches auf einem nicht veröffentlichten Krimi-Kurzfilm basiert. Dieses hat zwar eine nette Pointe, ist aber leider auch wenig glaubwürdig. Als Bonus aber trotzdem ein nettes Gimmik.