Oh! Sollte das hier eine kleine Perle südkoreanischen Filmschaffens sein? Die Story ist real und Drehbuchautor ist Joon-ho Bong, Autor und Regisseur von Filmen wie Parasite (2019), The Host (2006) oder Memories of Murder (2003). Der Film bekam in Südkorea keine Jugendfreigabe, denn der Streifen ist ein waschechter Thriller auf dem Fischkutter des Wahnsinns. KOCH FILMS bringt den im Nebel verirrten Alptraum nun ins Heimkino.
Originaltitel: Haemoo
Regie: Sung-bo Shim
Darsteller: Yoon-seok Kim, Yoo-chun Park, Yeri Han
Artikel von Kai Kinnert
Um seinen Fischkutter zu retten, erklärt sich der hoffnungslos verschuldete Kapitän Kang bereit, 25 illegale Einwanderer von China nach Korea zu schmuggeln. Das Unterfangen steht unter keinem guten Stern: Nur dem beherzten Einsatz des jungen Bootsmannes Dong-sik ist es zu verdanken, dass eine junge Frau gerade noch aus den Fluten gerettet werden kann. Die Stimmung in der Mannschaft ist mies und kippt endgültig, als der Kutter in eine dichte Nebelbank gerät und das Manövrieren unmöglich wird. Panik bricht aus, die Situation eskaliert, die Gewalt explodiert.
Der Fischkutter ist rostig, die Mannschaft besteht aus einfachen Seeleuten und der Kapitän ist pleite. Man fängt kaum noch Fische und so bleiben die Löhne knapp. Wovon Leben? Wovon Rechnungen bezahlen? Für das Schiff gäbe es eine Abwrackprämie, doch Kapitän Kang lehnt ab. Das würde allen die Lebensgrundlage rauben. Also nimmt Kang einen Schmugglerjob an, in dem er 25 koreanische Migranten aus China auf hoher See aufnehmen soll, um sie als billige Arbeitskraft nach Südkorea zu verfrachten. Doch die Fahrt entwickelt sich zur Abfahrt in die Hölle, die Story steuert komplex und gradlinig zugleich in einen düsteren Irrsinn, und Kapitän Kang wird zu Captain Ahab. Hier kommt alles zusammen und das auch noch eine Spur heftiger, als man es zunächst vermutet.
In den ersten 42 Minuten ist alles irgendwie noch normal, normal dramatisch zwar, eine beschissene Fahrt eben…das Übersetzen der Migranten ist gefährlich und alle Einwanderer müssen anschließend an Deck bleiben. Einzig eine junge Frau erlangt den Vorteil sich im Maschinenraum verstecken zu dürfen, obwohl Kang es verboten hat und der eine oder andere Seemann sexuelle Begehrlichkeiten entwickelt. Rundum ist das also wirklich keine Kreuzfahrt und sobald ein Schiff am Horizont auftaucht, müssen sich alle illegalen Einwanderer im Fischladeraum verstecken. Und dieser Fischladeraum ist es, der ab der 43. Minute alles ins Kippen bringt.
Dort stinkt es bestialisch und als nach einem Fehlalarm alle Migranten wieder aus dem Laderaum an Deck sind, muckt auch gleich einer auf. Die Zustände im Laderaum seien unmenschlich, eine widerliche, stinkende Hölle eben und man wolle zukünftig lieber an Deck bleiben. Da platzt Kapitän Kang in den Protest des Mannes und verprügelt diesen heftigst mit einem Stock. Er schlägt ihn fast tot und lässt den Kerl, ohne mit der Wimper zu zucken, über Bord werfen. Die Kontrolle an Bord muss beim Kapitän liegen und so wendet er sich drohend an seine menschliche Fracht: „Hört gut zu! Auf diesem Boot bin ich hier der Präsident, der Richter und…Gott!“
Wahrlich, Kapitän Kang schwingt sich ab diesem Moment zur literarischen Größe auf und wird so zu einer grausamen Inkarnation Captain Ahabs. Yoon-seok Kim spielt Kapitän Kang brachial und differenziert, monströs präsent und voller menschlicher Finesse. Sein Auftritt ab Minute 43:14 verändert den Film so gekonnt in eine völlig andere Richtung, das man ganz geplättet ist. Klar, der Kerl war vorher schon ein Arsch, aber hier findet das Drehbuch von Joon-ho Bong mit Kangs überraschender Brutalität einen gekonnten Twist, der den Wechsel des Genres elegant einleitet. Die erste Wendung in die Düsternis ist genommen worden und die zweite folgt sieben Minuten später. Die südkoreanische Küstenwache trifft auf den Kutter und wieder müssen alle in den Fischladeraum, denn der Kapitän der Küstenwache setzt zum Kutter über. Kang weiß, dass er den Kerl nun bestechen muss, damit die Fahrt weiter gehen kann. Doch das Gespräch zwischen den beiden Kapitänen ist heikel und aggressiv, ein fantastischer Moment voller Spannung, zumal in diesem Augenblick ein Unglück im Fischladeraum passiert, welches Minuten später für die Mannschaft des Fischkutters zur Eintrittskarte in die Hölle werden wird.
Als die Küstenwache wieder weg ist, beginnt der Alptraum. Was ab diesem Moment genau passiert, sei hier nicht verraten…nur soviel: Die folgenden Szenen sind der atmosphärische Höhepunkt des Films, brillant umgesetzt und von packender Intensität. Musik, Kamera und Licht sind den ganzen Film über schon von hoher Qualität, doch was da auf See passiert, könnte glatt von John Carpenter sein…sogar besser als bei Carpenter, denn hier entfaltet der Film so gekonnt eine beklemmende Düsternis, dass man die nächsten 45 Minuten aufrecht auf dem Sofa sitzt. Hier gibt es nichts Positives mehr, alles ist zum Elend verdammt, eine Fahrt ohne Wiederkehr, eine menschliche Katastrophe eben. Ein Ritt in die Finsternis, ganz wie es sich für Captain Ahab gehört.
Sea Fog ist kleines Kino ganz groß. Eine Story voller literarischer Tragik und triefend schwarzen Abgründen, niemand ist hier mehr klar im Kopf, alle Menschlichkeit geht über Bord. Der Twist in die Hölle ist gekonntes Kino. Atmosphäre, Musik, Kamera, Licht, Regie, Drehbuch und Schauspiel…hier ist alles stimmig. Der Film wurde zurecht von Südkorea als Bester fremdsprachiger Film für die Oscarverleihung 2015 eingereicht, doch leider nicht genommen. Sea Fog ist ein echter Geheimtipp, eine abgründige Perle gekonnten Filmschaffens und eine vortrefflich gelungene Mischung aus Drama, Thriller und Horrorfilm. Wer Fan koreanischer Thriller ist, bekommt hier die ganze Bandbreite mit Verve um die Ohren geschlagen.
Das Bild der vorliegenden Sichtungs-DVD ist gut, der Ton ebenso. Die Synchronisation ist sehr gut. Als Extras gibt es Trailer und ein Wendecover ohne FSK-Flatschen.
Trailer: