Wong Kar Wai inszeniert Stimmungen durch Kamera, Ausstattungen und Musik. Form und Geste überwiegen, Musik wird hier abstrakt auf die Handlung und ihrer Inszenierung übertragen. Das Nouvelle Vague ist nach As Tears Go By weiterhin das stilistische Vorbild für Wong Kar Wai und gewinnt im zweiten Film des Regisseurs durch die Kameraarbeit Christopher Doyles deutlich an Format. Bediente sich Wong Kar Wai bei seinem Debüt als Regisseur noch beim Bloodshed Movie, stößt er in seinem zweiten Film das Tor zum Art House Film weit auf. Auch hier steht das Innenleben der Protagonisten im Vordergrund, nur ohne Gangster – dafür aber mit einer Kameraarbeit von Christopher Doyle, die dem Film die nötige Poesie verleiht. KOCH FILMS brachte den Film nun als Special Edition (4K-Ultra-HD mit Blu-ray2D und DVD) heraus.
Originaltitel: Ah Fei jing juen
Regie: Wong Kar Wai
Darsteller: Leslie Cheung, Maggie Cheung, Andy Lau, Carina Lai, Jacky Cheung, Tony Leung, Rebecca Pan
Artikel von Kai Kinnert
Hongkong zu Beginn der 1960er Jahre: Yuddy (Leslie Cheung) ist ein Charmeur und Womanizer, der lässig in den Tag hineinlebt. Eines Tages lernt er Su Lizhen (Maggie Cheung) kennen. Jeden Tag besucht er sie an ihrem Arbeitsplatz an der Kasse eines Fußballstadions. Als sich herausstellt, dass Yuddy nicht bereit ist, Lizhen zu heiraten, endet die Romanze und sie bleibt mit gebrochenem Herzen zurück. Lizhen findet Trost in nächtlichen Spaziergängen mit dem melancholischen Polizisten Tide (Andy Lau), der davon träumt, zur See zu fahren. Und während sich die beiden zaghaft näherkommen, stürzt sich Yuddy in eine Beziehung mit der Kabarett-Tänzerin Mimi (Carina Lau), in die auch sein Kindheitsfreund Zeb (Jacky Cheung) verliebt ist.
Sie stehen beide voreinander. Sie kennen sich nicht und doch ist er ihr schon begegnet. Sie mögen sich, Worte werden gewechselt.
Er: „Welcher ist heute?“
Sie: „Der 16.“
„Der 16. Sechzehnter April. Dann warst du am 16. April 1960 um 3 eine Minute bei mir. Ich werde das nie vergessen. Denn wir waren eine Minute lang befreundet. Keiner könnte das Gegenteil behaupten, es ist geschehen. …also bis Morgen.“
Als er an ihr vorbei geht, berühren sich fast ihre Lippen zu einem Kuss. Der Moment ist da und vergeht dann doch. Wong Kar Wai inszenierte ihn glaubwürdig und künstlich zu gleich, kitschig und doch voller wahrer Romantik. Die Kamera von Christopher Doyle ist an den Gesichtern, im ständigen Spiel mit Farben, Licht und Bewegung. Als sich die Lippen Leslie Cheungs und Maggie Cheungs beinahe berühren, währt die Einstellung nur eine Sekunde, vielleicht zwei, und ist doch vollgepackt mit Zartheit und Liebe. Christopher Doyle prägte fortan visuell die Filme Wong Kar Wais, ein Glücksgriff des Regisseurs, der später noch weitere Filme mit Doyle drehen sollte.
War das Debüt As Tears Go By noch ein Zitat des populären HK-Triaden-Kinos, wechselte Wong Kar Wai für seinen zweiten Film gleich gänzlich ins künstlerische Segment, wobei er als Handlung eine beinahe krimi-freie Suche nach der eigenen Identität wählte. Es gibt zwar eine kleine Actionszene, aber das Gesehen ist nicht der Rede wert. Liebe verlangt keine große Handlung, Liebe ist filmisch nur im Zwischenton zu erleben, im Zögern und in der äußerlichen Abstraktion des Inneren. Bewegung, Bild und Musik. Auch ein stehendes Bild ist Bewegung, wenn die Chemie, der Blick und der Schnitt stimmen. Und zwischen Maggie Cheung und Leslie Cheung stimmt die Chemie, bei der gesamten Besetzung stimmt es. Doyle fängt die Szenen durchdacht ein, die Musik liegt lässig drunter und es kommt immer wieder zu visuell starken Momenten in diesem Film, die einfach preiswürdig stimmig sind. So gibt es nach 90 Minuten diese tolle Szene im flachen Raum mit Leslie Cheung, der auf dem Bett sitzt und seine Fingernägel feilt. Dann steht er auf, nimmt sein Jackett und steckt sich zwei Packen Zigaretten ein. Die Musik liegt rhythmisch-lässig drunter, die Nummer hat ruhige Eleganz. Es ist das Finale des Films. Die feinen Kamerafahrten Doyles in der langen Einstellung, das Timing von Leslie Cheung, unterlegt mit einem schönem 60´s Beat, machen die Szene groß. Das ist verdammt cool inszeniert und gespielt worden. Leslie Cheung ist toll, die Ausstattung einfach grandios, Art Direction und Timing stimmen, der Rhythmus sitzt und die Kamera ist eine Wucht. Das hat lässigen Schmiss. Die beste Szene des Films ist zugleich auch seine letzte.
Days of Being Wild ist ein ruhiger Film und irgendwie gut. Dank seiner großen Besetzung (hier geben sich die Top Stars damaliger HK-Tage die Klinke in die Hand), einer fantastischen, poetischen Kamera und einer starken Farbsetzung, ist der Film auch heute noch sehenswertes Kino für Freunde von Festival-Filmen. Die dezente Filmmusik von Terry Chan findet eine stimmige Untermalung und holt zu den richtigen Zeitpunkten zum Bossa Nova aus. Wer sich gerne mal einen elegant-ruhigen Filmabend mit Rotwein gönnen möchte, sollte sich dem Kino Wong Kar Wais zuwenden.
Das Bild der mir vorliegenden Blu-ray ist gut, satt und klar, der Ton ebenso. Als Extras gibt es eine Alternative Fassung, Christopher Doyle beim NFT in London, ein Interview mit Maggie Cheung, Originaltrailer und eine Bildergalerie. Ein Booklet von Andreas Ungerböck soll in der Special Edition ebenfalls vorhanden sein.
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