Staranwalt Kenneth Feinberg ist ein technokratischer Typ, der im Zwischenmenschlichen nur wenig Fettnäpfchen auslässt. Juristisch findet er für jedes Problem einen Ausweg und kann anhand der Gesetze auch den Wert eines menschlichen Lebens beziffern. Das ist seine Aufgabe und er ist dabei nicht ganz unsympathisch. Als der 11. September 2001 kommt und tausende Menschen ihr Leben verlieren, obliegt es Feinberg, ein Regelwerk für den Fond zu erstellen, mit dem man die Entschädigungen für die Hinterbliebenen errechnen kann. Doch womit Feinberg nicht gerechnet hatte, sind die vielen Begegnungen mit den Angehörigen der Opfer, die sein Zahlenwerk ins Schwanken bringen werden. CAPELIGHT PICTURES brachte das Drama mit Michael Keaton nun bei uns im Heimkino heraus.
Originaltitel: What Is Life Worth
Regie: Sara Colangelo
Darsteller: Michael Keaton, Amy Ryan, Stanley Tucci, Tate Donovan, Chris Tardio, Talia Balsam
Artikel von Kai Kinnert
Nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001, ernennt der Kongress der Vereinigten Staaten den Staranwalt Kenneth Feinberg (Michael Keaton) zum Leiter des Opferentschädigungsfonds. Gemeinsam mit Camille Biros (Amy Ryan), der Leiterin seiner Kanzlei, steht Feinberg vor der unmöglichen Aufgabe, den monetären Wert eines Menschenlebens zu bemessen, um die Hinterbliebenen zu entschädigen. Als Feinberg Charles Wolf (Stanley Tucci) kennenlernt, der ebenfalls den Tod seiner Frau zu verkraften versucht, realisiert der Jurist, dass er mit Berechnungen allein nicht weiterkommt: Hinter jeder Zahl steht ein menschliches Schicksal, für das es sich zu kämpfen lohnt.
Es ist ein wenig schwer auszumachen, worum es diesem Film wirklich geht. Sicher, der Streifen ist bestens besetzt worden und das Ensemble spielt gut, allen voran Michael Keaton, dem es zu verdanken ist, dass Der Fall 9/11 filmisches Format hat und so nicht in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Ein Film über den Entschädigungsfond für die Angehörigen und Opfer des 11. Septembers ist für ein weltweites Publikum wahrscheinlich genauso interessant, wie ein Film über den Wiederaufbaufonds für die Flutopfer in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Nämlich gar nicht, außer es spielt Michael Keaton mit.
Der Entschädigungsfond ist ein lokales, vielleicht noch nationales Thema, welches nur wenig dramaturgische Wendungen zulässt und nur darüber berichtet, wie der Fond von einem seelenlosen Verteilerschlüssel zu einer gerechteren, menschenfreundlichen Verteilung der Entschädigungssummen gekommen ist. Die Frage, wieviel denn nun ein Menschenleben wert sei, kann auch der Film nicht beantworten, kann niemand beantworten – und so einigt man sich in Feinbergs Kanzlei auf viele Begegnungen mit den Angehörigen, um so zu einer menschlichen Entscheidung zu kommen, die das Opfer vom Jahreseinkommen löst. Der Zahl wird ein Gesicht gegeben, ein Manager soll nicht mehr wert sein als ein Tellerwäscher.
Der Film hätte seine Spannung sicher aus dem Wandel Feinbergs beziehen können, der sich im Laufe der Spielzeit vom oberflächlich-technokratischen Anwalt zu einem Mann wandelt, der hinter die Zahlen blickt und überrascht feststellen muss, dass hinter jeder Zahl ein Menschenleben steckt. Doch Regisseurin Sara Colangelo konnte sich nicht entscheiden und gönnt der Figur Feinbergs nur knapp die Hälfte des Films, in der Michael Keaton, dank seines guten Schauspiels, die Veränderung in Feinberg etwas herausarbeiten kann. Schauspielerisch ist das gut, doch es fehlt der dramaturgische Gegenpol, die Spannung, an der sich die Wandlung Feinbergs reiben könnte. Stanley Tucci ist zwar so ein Gegenpol in der Story, doch das Drehbuch platziert Tucci rein formal, rein handwerklich, denn nur durch Tucci erfährt der Zuschauer vom moralischen Problem des Entschädigungsfonds. Es gibt zwar im letzten Drittel des Films einen tollen Dialog zwischen Keaton und Tucci, sozusagen das Finale, aber der Dialog ist nur ein erklärendes Statement für den Zuschauer, rund geschrieben, aber dennoch nur eine formale Angelegenheit, die keinerlei Auswirkung auf Story oder die Figuren mehr hat.
Wenn der Film ein Tränchen in die Augen des Zuschauers treibt, dann vielleicht ob der schrecklichen Schicksale, die hier in langen Szenen Feinberg und seinen Mitarbeitern erzählt werden. Es ist der große Schwachpunkt in diesem Film, denn Der Fall 9/11 – Was ist ein Menshenleben wert? bezieht sein Drama ausschließlich aus den Erzählungen der Angehörigen und der überlebenden Opfer. Gespickt mit den (man muss es schon so sagen) üblichen Aufnahmen der Katastrophe, fällt dem Streifen tatsächlich nicht mehr ein, als das lange Vortragen von Erinnerungen und das auch noch mit altbekannten Aufnahmen zu unterstreichen. Talking Heads, also lange Dialoge die keinerlei Handlungen benötigen, sind das bestimmten Element in dieser passiven Inszenierung. Weiter passiert in dem Film nichts, außer das man, wie Michael Keaton, zum Zuhörer realer Erlebnisse wird und man sich dabei berechtigt fragen kann, ob das für einen packenden oder gar spannenden Film ausreicht.
Nein, leider nicht. Der Fall 9/11 – Was ist ein Menshenleben wert? mag ein ehrbares Anliegen haben, aber der Film ist, wie so viele andere Netflix-Filme auch, ein unausgewogenes Produkt ohne klare Linie und eine Ansammlung an vergebenen Chancen. Mögen die Schauspieler auch gut spielen, internationales Format hat dieser Film nicht. Aus der Figur Feinbergs macht das Drehbuch nichts, stattdessen erstarrt die Inszenierung in Ehrfurcht vor den Schicksalen der Terroropfer und lässt sie in langen Szenen erzählen. Die Wandlung Feinbergs, die ja eigentlich nicht unwesentlich für den Entschädigungsfond war, muss in den Hintergrund treten und so versandet die eh schon dünne Dramaturgie zunehmend hinter den Ausführungen der Angehörigen. Wer großer Fan Michael Keatons ist, bekommt hier einen fein aufspielenden Hauptdarsteller und darf einen Blick wagen. Mehr hat der Film dann aber auch nicht zu bieten.
Das Bild der vorliegenden Blu-ray ist sauber, satt und klar, der Ton ebenso. Ein Wendecover ohne FSK-Logo ist vorhanden.
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