Am 30. November 2009 erlag die spanische Horrorikone Jacinto Molina Álvarez seiner Krebserkrankung. Er wurde 75 Jahre alt. Berühmt – und bei so manchem Filmkritiker wohl auch berüchtigt – wurde er unter seinem Pseudonym Paul Naschy. Unter diesem Namen spielte der kräftige Spanier seit Ende der Sechzigerjahre in einem Horrorschinken nach dem anderen mit und wird wohl für immer derjenige bleiben, der als Einziger so ziemlich alle klassischen Horrorfiguren dargestellt hat. Ob Dracula, Frankenstein oder Satan himself, Naschy gab immer eine gute Figur ab. Besonders liebgewonnen hatte er die Rolle des polnischen Werwolfs Waldemar Daninsky, in die er mehr als ein Dutzend mal schlüpfte. Das Label SHOCK ENTERTAINMENT bescherte uns in den letzten Monaten vier, bislang hierzulande unveröffentlichte, Werke seines Schaffens, erstmals in deutscher Sprache. Nummer 5 – und damit den Abschluss der Reihe – bildet diese wundervolle Dokumentation, die ein Jahr nach Molinas Tod entstand und der Ikone ein würdevolles Denkmal setzte.

Originaltitel: The Man Who Saw Frankenstein Cry

Regie: Ángel Agudo

Präsentiert von Mick Garris / Zu Wort kommen außerdem u.a.: Caroline Munro, Jorge Grau, Joe Dante, John Landis, Javier Aguirre und natürlich Paul Naschy himself aus Archivmaterial

Artikel von Christian Jürs

Eine erstaunliche Filmographie mit sage und schreibe 118 Darsteller-Einträgen, sowie 52 als Drehbuchautor und immerhin 23 mal als Regisseur, stehen in der IMDb unter dem Namen Paul Naschy vermerkt. Jacinto Molina Álvarez erblickte am 6. September 1934 in Madrid das Licht der Welt und konnte 1960 seinen ersten Darstellercredit unter bürgerlichem Namen im Abenteuerfilm El príncipe encadenado aka King of the Vikings verbuchen. Doch bis dahin war es ein steiniger und bewegter Weg, wie wir in der liebevoll, von Horrormeister Mick Garris (Thinner – Der Fluch) als Host präsentierten, Dokumentation erfahren.

Monster-Paule, grinsend umringt von Karin Dor und Gela Geisler in Dracula jagt Frankenstein

1968 war es dann endlich soweit. Unter dem bis heute weltbekannten Pseudonym Paul Naschy hatte er seinen ersten Auftritt – in seiner Paraderolle Waldemar Daninsky. Das Drehbuch zu Die Vampire des Dr. Dracula stammte ebenfalls von ihm. Was folgte, ist Horrorfilmgeschichte. Fans verehren den Mann bis heute, während manch anderer unverständlich den Kopf schüttelt. Seine Hochphase hatte Paul Naschy in den Siebzigerjahren. In dieser Zeit entstanden Kultfilme wie Nacht der Vampire, Blutmesse für den Teufel, Dracula jagt Frankenstein, Der Totenchor der Knochenmänner und Die Stunde der grausamen Leichen. Auch wenn diese Filme gegenüber dem italienischen Horrorfilm geradezu piefig wirkten, so hatten sie, dank toller Kulissen, hübscher Frauen und Paul Naschys Leidenschaft, die er in seine Filme einfließen ließ, einen ganz eigenen Charme, den seine Fans so lieben.

Der späte Naschy in Rojo Sangre

Mitte der Siebziger, als das Regime von Francisco Franco mit dessen Tod beendet wurde, veränderten sich auch die Sehgewohnheiten, was es für den spanischen Horrorfilm sichtlich schwerer machte, an den Kinokassen zu bestehen. Doch Naschy ließ sich nicht unterkriegen und drehte fleißig weiter. Bis zu seinem Tod entstanden viele weitere, sehenswerte Filme wie das Nacht der Vampire-Remake The Werwolf, Rottweiler, School Killer – Nacht des Grauens, Rojo Sangre und der von Brian Yuzna inszenierte Rottweiler. Paul Naschy wurde nicht müde, immer weiter zu inszenieren. Kurz vor seinem Tod verwirklichte er noch den auf den auf Digitalvideo gedrehten Film Empusa, in dem er nochmal, ganz altmodisch, gegen weibliche, meist nackige Vampire antrat. Doch auch damit war noch nicht Feierabend. Ganze acht Jahre nach seinem Ableben erschien der Horrorstreifen Los resucitados, der über mehrere Jahre brauchte, ehe er fertiggestellt wurde. Hierzulande ist der Film leider bislang nicht erschienen.

Er schrieb das Drehbuch in nur einer Nacht: Blutmesse für den Teufel

Der Mann, der Frankenstein weinen sah ist eine liebevolle Hommage an den Visionär und Träumer, dessen Horrorgeschichten meist etwas märchenhaftes transportieren (nicht umsonst killt Waldemar Daninsky in der Eröffnungssequenz von Nacht der Vampire ein barbusiges Rotkäppchen). Familienmitglieder, Wegbegleiter und Bewunderer, wie Joe Dante oder John Landis kommen hier zu Wort. Die wundervolle Caroline Munro bereut sogar, dass sie erstmals 1988 mit Paul Naschy zusammenarbeiten konnte. Nach ihrer Aussage hätte dies schon viel früher geschehen sollen, wer weiss, was dabei für tolle Gruselfilme mit den beiden entstanden wären. Die 81 Minuten Laufzeit (77 auf DVD), in denen uns vor allem der Mensch hinter Jacinto Molina Álvarez näher gebracht wird, ist gegen Ende zu Tränen rührend, aber auch unglaublich informativ und unterhaltsam.

Paul Naschy knattert Gaby Fuchs in Nacht der Vampire

Shock Entertainment veröffentlichte die Dokumentation nun als Abschluss ihrer fünfteiligen Naschy-Reihe, von denen vier alte Klassiker nun endlich auch in deutscher Sprachfassung (mit fantastischer, neuer Synchronisation) erschienen. Der Mann, der Frankenstein weinen sah ist zwar keine Erstveröffentlichung (es gab 2014 bereits eine Scheibe von Subkultur), doch kann man die Dokumentation nun erstmals auch mit deutschen Voiceover anschauen. Zusammen ergibt die fünfteilige Reihe im Sammlerregal übrigens eine hübsche Naschy-Collage. Nicht der einzige Grund, sich alle diese Filme zuzulegen, denn alle vier Filme sind echte Knaller. Mein persönliches Highlight stellt dabei Draculas große Liebe dar, während Kollege Zocki beispielsweise auf Der Werwolf und der Yeti schwört. Doch auch Die Nacht des Exorzisten und Karneval der Bestien sind unbedingt sehenswert und bieten zusammen einen schönen Einblick auf die Vielseitigkeit seines Schaffens.

Geht man so mit seiner Herzensdame um? – Draculas große Liebe

Die Bildqualität (1,78:1 / 1080p) der Dokumentation ist ausgezeichnet. Ebenso der Ton, der wahlweise, wie bereits erwähnt, mit deutschem Voiceover oder im Englisch/Spanisch-Mix (deutsche Untertitel sind vorhanden) in DTS-HD Audio Master 2.0 Stereo vorliegen. Als Bonus gibt es, wie auf allen fünf Scheiben, ein identisches Vorwort von Sergio Molina, dem Sohn des Meisters (der die Kamera ein wenig zu tief angesetzt hat), sowie Trailer zu den anderen Veröffentlichungen, eine Bilder- und Artworkgalerie und ein 36-seitiges Booklet von Mike Blankenburg. Die Veröffentlichung ist auf 1500 Stück limitiert.

Farewell, el Hombre lobo – und danke für die tollen Filme.

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