Als Fotojournalist hast du die Wahl: sich entweder in die Verzweiflung zu stürzen und die Missstände in der Natur anzuprangern oder ihre Schönheit zu feiern. Natur- und Wildlife-Fotograf Vincent Munier hat sich für das Letztere entscheiden und nutzt seine Touren in die unberührte Wildnis auch als Flucht vor dem Puppentheater des Menschen. Munier setzt bei seinen Reisen auf ein bestimmtes Tier und nimmt auch in Kauf, es nicht zu finden. Er akzeptiert, dass all´ das Warten und Ausharren keinen Erfolg haben kann. Jedoch filmt er die Natur, das Leben und die Schönheit drumherum und findet dabei zu sich selbst. Begleitet wird er auf dieser Reise von dem Schriftsteller Sylvain Tesson, der auf dieser Suche im Dialog mit Munier steht und dem Film durch seinen Off-Text eine lyrische Tiefe gibt. Die Suche nach dem Schneeleoparden ist auch eine Suche nach dem Platz des Menschen in der Welt. MFA+ brachte den entschleunigten Naturfilm nun im Heimkino heraus.

Originaltitel: La panthère des neiges

Regie: Marie Amiguet und Vincent Munier

Darsteller: Sylvian Tesson, Vinent Munier

Artikel von Kai Kinnert

Im Herzen des tibetischen Hochlands begibt sich Natur- und Wildlife-Fotograf Vincent Munier zusammen mit dem Schriftsteller Sylvain Tesson auf die Suche nach dem Schneeleoparden. Nur noch wenige Exemplare der gefährdeten und scheuen Art sind in freier Wildbahn anzutreffen. Tagelang durchstreifen die beiden Männer das Gebirge, lesen Spuren, werden mit der Landchaft eins. Geduldig harren sie aus, beobachten und fotografieren. Ihre langsame Jagd nach dem Schneeleoparden entwickelt sich dabei zur inneren Reise, einem stillen Dialog über den Platz des Menschen in einer verschwindenden Welt. Herausgekommen ist ein Film von überwältigender Schönheit.

Stille. Die Stille ist ein gewichtiger Teil des Films, die Ruhe der gewaltigen Landschaft, die eisige Luft und das Leben in karger Natur. Wochenlang werden Vincent Munier und Sylvain Tesson, durch das Gebirge ziehen und den Schneeleoparden suchen. Die Aufnahmen, die sie während ihrer Reise machen, sind famos. Voller grandioser Schönheit, klar, groß und dennoch so nah. Das Licht ist einmalig. Der Zuschauer wird Teil dieser Reise. Es gibt keine Belehrungen und keine großen Erklärungen. Das Bild und die Stimmung sprechen für sich. Und auch den kleinen Gesprächen zwischen Munier und Tesson lauscht man gerne, hier gerät nichts aufdringlich oder gar in eine selbstverliebte Inszenierung.

Der Tibetfuchs, der Hase, das Yak, Bär und Adler außerdem. Grandiose Fotografien, die in ihrer natürlichen Schönheit wirken. Nahbar. Der Betrachter wird Teil dieser eigenen Tierwelt, dieser Natur. Nebelbänke, geschwungene Fluchten voller wuchtiger Schönheit. Aufnahmen im harten Gegenlicht eines eisig-klaren Morgen, der Atem des Lebens sichtbar in der Morgenluft, die schroffen Felsen des Gebirges rahmen die Landschaft. Doch der Schriftsteller und der Fotograf bekommen den Schneeleoparden nicht vor die Linse. Stattdessen aber atemberaubende Aufnahmen des übrigen Lebens und der Landschaft. Und immer wieder dieses einmalige Licht, diese eisige Luft.

Die Aufnahme einer selbst auslösenden Überwachungskamera wird sich später auszahlen. Wie aus dem Nichts heraus, marschiert der Schneeleopard von rechts ins Bild der Überwachungskamera, bleibt mittig stehen und gähnt. Eben typisch Katze. Dann verschwindet sie. Wohin ist sie gegangen? Das Duo schöpft Hoffnung, doch im Morgenlicht zieht nur eine Gruppe von Bären durch das Gebirge. Der Schneeleopard scheint entkommen zu sein, bleibt unauffindbar. Aber dann stößt das Team auf ein gerissenes Tier und wird in 100 Meter Entfernung geduldig Stellung beziehen. Es dauert lange, aber ihre Geduld wir belohnt werden. Im Dämmerlicht der Landschaft ist der geschwungene, wedelnde Schwanz des Schneeleoparden zu sehen.  

Was folgt, sind wenige Minuten mit einem wahrlich seltenen, eleganten Tier, einer wissenden Katze, die ihren Blick vollendet in die Kamera richtet und genau weiß, dass sie beobachtet wird. Katzenfreunde bekommen hier in Minute 84 und 10 Sekunden (DVD) eine einmalige Aufnahme zu sehen, wie sie nur Katzen leisten können. Der Schneeleopard dreht sich, halb liegend, um die eigene Achse, sucht die richtige Position, und lässt sich mit ausgestreckten Vorderpfoten nieder, den Blick dabei fest in die weit entfernte Kamera richtend, genau fokussiert und sanft blinzelnd. „Hallo“, scheint das Tier zu senden. Eine atemberaubende Begegnung in vollendeter, poetischer Schönheit, intim und berührend, verbindend.

Einem Tier zu begegnen, steigert das Lebensgefühl. Das Auge erfasst ein Funkeln – das Tier ist ein Schlüssel. Es öffnet eine Tür. Dahinter: das Unbeschreibliche.“

Warum, zum Geier, liebt der Mensch das Pathos des Untergangs nur so sehr, dass er ihm die Schönheit der Welt opfert? Der Schneeleopard ist nicht nur ein fantastisch fotografierter, ruhiger und nahbarer Naturfilm, er ist auch eine unaufdringliche Frage an den Menschen selbst.

Ich war dem schönen Gesicht des Felsengeistes begegnet. Unter meinen Lidern lebte sein Bild in mir fort. Sobald ich die Augen schloss, sah ich sein hochmütiges Katzengesicht, die faltigen Züge um seine feine, gefährliche Schnauze. Ich hatte den Leoparden gesehen und sein Feuer gestohlen. In mir trug ich die Glut. Ich hatte gelernt, dass die Geduld eine höchste Tugend war. Die eleganteste und meist vergessene. Sie half dabei die Welt zu lieben.

Der Schneeleopard ist berührend, wahrlich bildgewaltig und kraftvoll zugleich. Das kleine Filmteam findet den richtigen Punkt. Die Reise gelingt. Ein absoluter Tipp für jeden Freund des entschleunigten Naturfilms und ganz für die Leinwand geschaffen. Wer Wildkatzenfreund ist, dem wird im Abspann der Atem stocken. Die Aufnahmen berühren, das ist fantastisch.

Das Bild der vorliegenden DVD ist sauber, satt und klar, der Ton ebenso. Als Extras gibt es den Musikclip „We are not alone“ von Nick Cave & Warren Ellis, Kinotrailer und eine Trailershow.

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