ROCKY (1976), WIE EIN WILDER STIER (1980), MILLION DOLLAR BABY (2004), THE FIGHTER (2010). Viele Sportdramen und persönliche Geschichten der Kino-Historie spielten sich im und um den Boxring ab. Nun hat auch Oscar-Preisträger Barry Levinson seinen Beitrag zum Genre abgeliefert und erzählt in dem Drama THE SURVIVOR (2021) die wahre Geschichte eines jüdischen Boxers, der im Konzentrationslager für Gladiatorenkämpfe auf Leben und Tod missbraucht wurde. Leonine veröffentlichte den Film, der in den USA seine Premiere bei HBO MAX feierte, hierzulande bereits im November im Heimkino. Ob sich ein Blick lohnt, erfahrt ihr in unserer Kritik.
Originaltitel: The Survivor
Drehbuch: Justine Juel Gillmer
Regie: Barry Levinson
Darsteller: Ben Foster, Billy Magnussen, Vicky Krieps, Peter Sarsgaard, Saro Emirze, John Leguizamo, Danny DeVito…
Artikel von Christopher Feldmann
Zahlreiche Boxer und deren Erlebnisse im Ring wie auch im Privatleben wurden bereits für die große Leinwand adaptiert. Dass erst 2021 jemand einen Film über den Sportler drehen sollte, scheint überraschend, gehört dessen Geschichte doch zu den beeindruckendsten aber auch schlimmsten, die man sich nur vorstellen kann. Harry Haft wurde 1941 nach Auschwitz deportiert, aufgrund seiner Statur von der SS zum Boxer ausgebildet und dazu gezwungen in über 70 Schaukämpfen zu boxen. Seine Gegner waren dabei ebenfalls jüdische Gefangene, die bei einer Niederlage unmittelbar ermordet wurden. Ein schweres Schicksal und auch ein weiterer Beweis für das perfide Schreckensregime der Nationalsozialisten. Erst 1945, als das Konzentrationslager in Jaworzno aufgelöst wurde, gelang Haft die Flucht während eines Todesmarsch, nachdem er einen Offizier tötete und sich dessen Uniform und Papieren bemächtigte. Später soll er zudem ein älteres Paar erschossen haben, die ihm Unterschlupf gewährten, aus Angst verraten zu werden. 1948 gelang ihm schließlich die Auswanderung in die USA. Eine fesselnde wie auch schreckliche Geschichte, die Haft erst kurz vor seinem Tod seinem ältesten Sohn anvertraute, der diese wiederum mit Hilfe zweier Historiker aufarbeitete und veröffentlichte. Nun wurde sie von Oscar-Preisträger Barry Levinson verfilmt, der für THE SURVIVOR (2021) ein durchaus prominentes Ensemble gewinnen konnte. Zwar reicht der Film nicht an frühere Werke des Filmemachers heran, sehenswert er aber allemal.
Handlung:
Harry Haft (Ben Foster) hält sich nach dem Zweiten Weltkrieg in New York mühsam mit Box-Kämpfen über Wasser und hat zugleich einen Herzenswunsch: Er sucht seine Jugendliebe Leah (Dar Zuzovsky). Ohne zu wissen, wie Leah durch den Holocaust gekommen ist, ist er sich instinktiv sicher, dass sie noch lebt und – wie er – den Weg in die USA gefunden hat. Unterstützung bei seiner Suche erhält er von Miriam Wofsoniker (Vicky Krieps). Um Leah auf sich aufmerksam zu machen, strebt Harry Haft einen Box-Kampf an, der in der Presse ein großes Thema sein würde: Er will gegen den großen Rocky Marciano (Anthony Molinari) kämpfen. Tatsächlich bringt ihm der angekündigte Kampf ein Interview ein und Harry Haft erzählt dem Journalisten (Peter Sarsgaard) die unfassbare Geschichte, wie er Auschwitz überlebte …
THE SURVIVOR ist, obwohl es sich de facto um ein Boxerdrama handelt, nie so wirklich am reinen Sport interessiert. Dieser ist im Film wie auch im Leben von Harry Haft nur ein Nebenschauplatz, eine Zugabe. Viel mehr geht es um die schreckliche Geschichte eines Mannes, der dutzendfach um sein Leben kämpfen musste, um das Thema Schuld und um die Frage, ob jemand mit einer solchen Vergangenheit überhaupt dazu fähig ist, ein normales Leben zu führen.
Das Drehbuch ist springt dabei zwischen drei Zeitebenen hin und her und zeigt Haft während seiner Inhaftierung im Konzentrationslager, in der Nachkriegszeit als Boxer in New York, sowie im Jahr 1963. Insgesamt präsentiert sich der Film klassisches Biopic, das versucht, eine ganze Lebensgeschichte abzubilden, bleibt dabei aber immer etwas arg formelhaft. Da die Boxkämpfe und die damit verknüpfte Spannung um Sieg oder Niederlage nicht das zentrale Element sind, schleichen sich immer wieder kleine Durchhänger in das knapp 130 Minuten lange werk ein. Werden die Erfahrungen Hafts während des zweiten Weltkriegs erst einmal aufgelöst und eindringlich geschildert, fehlt es dem Ganzen im weiteren Verlauf etwas an einer klaren Linie und Levinsons Film tritt immer mehr auf der Stelle und die essenziellen Fragen und Themen kommen etwas zu kurz. Das führte dazu, dass sich trotz der beeindruckenden Geschichte immer mal wieder auf die Uhr schaute und mir im Nachhinein sicher bin, dass man das Alles auch etwas kompakter hätte erzählen können. Das sind allerdings auch die einzigen größeren Kritikpunkte, die ich dem Biopic vorwerfen könnte, werden die strukturellen Schwächen und inhaltlichen Längen doch sehr gut von der hervorragenden Besetzung kaschiert.
Allen voran Ben Foster liefert hier eine höchst beeindruckende Performance ab und verschmilzt förmlich mit der Figur. Für die Szenen im Konzentrationslager speckte US-Amerikaner rund 60 Pfund ab und legte für spätere Aufnahmen wieder an Gewicht zu, um Hafts Transformation glaubhaft darzustellen. Tatsächlich ist der ausgemergelte Foster kaum wiederzuerkennen, schafft es aber den Schmerz und den Kampf auf Leben und Tod mit jeder Faser seines Körpers darzustellen. Auch in späteren Boxszenen, in denen er wieder mehr Masse auf den Rippen hatte profitieren durch seine physische Präsenz. Aber nicht nur körperlich, sondern auch schauspielerisch ist Foster der große Trumpf des Films. Eine Schande, dass er für diese Rolle keine Preise einheimsen konnte und auch so gut wie nicht nominiert wurde.
Aber auch die restliche Besetzung muss sich nicht verstecken. Mit Vickie Krieps, John Leguizamo, Billy Magnussen, Peter Sarsgaard und Danny DeVito tummeln sich hier einige hochkarätige Darsteller, die allesamt überzeugen können. Gerade Magnussen als perfider SS-Offizier und DeVito als unflätiger Boxtrainer überzeugen in ihren Rollen, Krieps‘ Darstellung als mitfühlende Vermittlerin und späteres Love Interest ist ein weiterer emotionaler Anker des Films, der etwas Hoffnung und emotionale Wärme in diese Leidensgeschichte bringt.
Inszenatorisch bewegt sich THE SURVIVOR auf solidem Niveau, auch wenn Barry Levinson schon bessere Tage hatte. Der Film lässt ganz gut erkennen, dass die Zeiten in denen der Regisseur Werke wie GOOD MORNING, VIETNAM (1987), RAIN MAN (1988), BUGSY (1991) oder SLEEPERS (1996) ablieferte, schon lange vorbei und er mittlerweile nicht mehr die größte Nummer in Hollywood ist. So sieht das Boxer-Biopic durchweg eine Spur günstiger aus, als man es vermuten würde. In den Händen eines echten Starregisseurs, der Wege und Mittel besitzt, üppige Budgets an Land zu ziehen, hätte der Film ein deutlich größeres Publikum und somit eine größere Aufmerksamkeit gefunden, was der Geschichte auch würdig gewesen wäre. Tatsächlich ist THE SURVIVOR nie schlecht in Sachen filmischer Qualität aber doch auch sehr „paint by Numbers“. Gerade die Szenen im Konzentrationslager, die natürlich im tristen Schwarz-Weiß daherkommen wirken daher etwas wie eine Schmalspurversion von SCHINDLERS LISTE (1993). Levinson gelingen nicht unbedingt die großen Bilder und muss sich mehr auf sein Material und seine Schauspieler verlassen, die diese Schwäche aber zum Großteil ausmerzen können.
Leonine haben den Film nach kurzem Kinoeinsatz bereits im November auf Scheibe veröffentlicht. Bild- und Tonqualität sind sehr gut, im Bonusmaterial findet man lediglich einen Trailer.
Fazit:
THE SURVIVOR (2021) erzählt eine unfassbare Geschichte und ist allein auf Grund dieser absolut sehenswert. Zwar gelingt Barry Levinson hier kein Meilenstein des Kinos, ein berührendes wie schockierendes Biopic mit einem herausragenden Ben Foster ist ihm dennoch geglückt.
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