Als im Jahr 1974 die Watergate-Affäre rund um den damaligen US-Präsidenten Richard Nixon publik wurde, löste dies ein Lauffeuer aus und avancierte zum wohl größten Polit-Skandal aller Zeiten. Nur zwei Jahre später wurde das darauffolgende Buch, das detailliert die damaligen Recherchen dokumentiert der beiden Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein dokumentiert, von Alan J. Pakula unter dem Titel ALL THE PRESIDENT’S MEN (1976) verfilmt. 45 Jahre später machte sich die deutsche Regisseurin Maria Schrader daran, eine weitere Skandal-Enthüllung zu verfilmen, nämlich die um Hollywood-Mogul und Missbrauchstäter Harvey Weinstein. Auch SHE SAID (2022) basiert auf einem Buch, das den Kraftakt um das Sammeln von Fakten und Zeugenaussagen nachzeichnet. Herausgekommen ist ein trockenes, präzises aber auch unglaublich packendes Journalismusdrama, das den Grundstein der #MeToo-Bewegung portraitiert. Universal Pictures hat den Film, dem im Kino kein großer Erfolg beschienen war, kürzlich im Heimkino veröffentlicht. Warum man ihm unbedingt eine Chance geben sollte, erfahrt ihr in unserer Kritik.
Originaltitel: She Said
Drehbuch: Rebecca Lenkiewicz; nach dem gleichnamigen Buch von Jodi Kantor und Megan Twohey
Regie: Maria Schrader
Darsteller: Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson, Andre Braugher, Peter Friedman, Ashley Judd…
Artikel von Christopher Feldmann
Im Oktober 2017 ließ ein wahrer Donnerschlag ganz Hollywood erzittern, als bekannt wurde, dass Hollywood-Mogul und Filmproduzent Harvey Weinstein seit Jahrzehnten systematisch weibliche Mitarbeiter und Schauspielerinnen sexuell bedrängt, missbraucht und teilweise sogar vergewaltigt hatte. Weinstein gehörte bis zur Enthüllung seiner Straftaten zu den einflussreichsten Produzenten der gesamten Branche, 19 Filme, die unter dem Dach seiner Firmen Miramax und später The Weinstein Company entstanden wurden für den Oscar in der Königskategorie nominiert, fünf davon konnten den Goldjungen gewinnen. Er brachte in den 1990er Jahren nicht nur den Independentfilm in den Mainstream, sondern förderte auch die Karriere von Star-Regisseur Quentin Tarantino. Mit besten Vernetzungen, aggressiven und aufwendigen Kampagnen für seine Filme und großzügigen Partys war Weinstein ein Symbol für Macht in der Traumfabrik. Er entschied, wer zum Star wird und wer keine Rollen mehr bekommen sollte. Dass der mittlerweile verurteilte Sexualstraftäter Frauen auf übelste Weise ausbeutete war lange Zeit ein offenes Geheimnis in Hollywood und Weinstein nutzte ungestört weiter seine Position für sexuelle Befriedigung. Schweigegeldzahlungen und Drohungen gegenüber Mitwissern und auch Opfern vertuschten dies über viele Jahre hinweg, bis zwei Journalistinnen der New York Times diese Missstände in einem Artikel aufdeckten und mit mehreren Zeugenaussagen, sowie Beweisen für viele Zahlungen untermauerten. Daraufhin gingen noch weitere Frauen an die Öffentlichkeit und die Liste von Weinstein-Opfern wurde immer länger. Mit dem Drama SHE SAID (2022) erschien im vergangenen Jahr nun die Verfilmung des Enthüllungsprozesses, die die beiden Journalistinnen Megan Twohey und Jodi Kantor in den Mittelpunkt rückt. Ein hochspannender, packender und unglaublich gut gespielter Film, der aber nichts für jedermann ist.
Handlung:
2017 erschütterte ein Sonderbericht die Welt: Der renommierte Produzent Harvey Weinstein hatte jahrzehntelang Frauen angegriffen und belästigt. Mehrere Frauen gingen das große Risiko ein, ihre Erfahrungen mitzuteilen, und bald folgten viele weitere. Dank ihres Mutes und der Beharrlichkeit der Journalistinnen Jodi Kantor (Zoe Kazan) und Megan Twohey (Carey Mulligan), die gegen Führungskräfte, Unternehmen, Anwälte und Talentagenten ankämpfen mussten, die alle unter Weinsteins Einfluss standen, wurde das Schweigen über sexuelle Übergriffe in Hollywood gebrochen und die #MeToo-Bewegung, eine der wichtigsten Bewegungen ihrer Generation, ins Leben gerufen.
Bei SHE SAID handelt es sich mitnichten um einen reißerischen Thriller, der Harvey Weinstein und dessen Machenschaften in den Vordergrund rückt. Dessen Taten sind mittlerweile hinreichend bekannt, so dass es der Film gar nicht mehr nötig hatte, den Hollywood-Produzenten weiter zu dämonisieren. Viel mehr stützt sich das Drama auf das gleichnamige Buch der beiden Protagonistinnen und deren Recherchen für den ausschlaggebenden Artikel, der im Oktober 2017 das Licht der Welt erblickte. Tatsächlich ist Maria Schraders Drama ein Plädoyer für investigativen Journalismus, das präzise das notwendige Handwerk portraitiert. Weinstein selbst schwebt zwar über Allem, spielt im Endeffekt aber nur eine kleine Rolle (tatsächlich ist er in nur einer Szene von hinten zu sehen). Die Bühne gehört neben den beiden Journalistinnen den Opfern, die in beklemmenden Interviews ihre mitunter schrecklichen Erlebnisse schildern. Somit gibt man nicht dem Täter, sondern den Geschädigten eine Plattform und auch eine Stimme. Ein Kunstgriff, den das Drehbuch hervorragend anwendet und somit dem Zuschauer immer wieder die Magengrube haut.
Nichts desto trotz ist SHE SAID kein Film für die Masse, das bewiesen die eher schwachen Box-Office-Zahlen. Das Projekt steht ganz im Zeichen von ähnlich gelagerten Werken wie DIE UNBESTECHLICHEN (1976) oder SPOTLIGHT (2016), in denen es um die penible wie auch nervenaufreibende Recherchearbeit geht. Und trotzdem gelingt es Maria Schrader die Spannung aufrechtzuhalten. Egal ob „Megan Thwohey“ und „Jodi Kantor“ Opfer befragen oder sich Wortgefechte mit Anwälten und Beratern liefern, der Film schafft es stets, den Zuschauer bei der Stange zu halten. Das liegt in erster Linie an den beiden wirklich gut geschriebenen Hauptfiguren, die zusätzlich zu ihrer Tätigkeit auch etwas privaten Background bekommen und stets authentisch wirken. Man kann sehr gut mitverfolgen wie aus einem kollegialen Arbeitsverhältnis eine vertraute Zusammenarbeit und später sogar ein freundschaftliches Verhältnis wird und wie private Ereignisse, Freuden und Rückschläge ihre Arbeit begleiten. So erlaubt sich SHE SAID auch den ein oder anderen leichten Tonfall ohne dass man das Gefühl hat, es wirke deplatziert.
Die Besetzung ist sowieso eine große Stärke des Films. Carey Mulligan, die zuletzt in PROMISING YOUNG WOMEN (2020) zu begeistern wusste, spielt hier mal wieder besonders stark auf und harmoniert perfekt mit ihrer Filmpartnerin Zoe Kazan. Während Mulligan die nach außen hin abgehärtete, kühle Journalistin gibt, verkörpert Kazan den eher verletzlicheren Part, woraus sich eine wirklich gute Chemie entwickelt, die dazu führt, dass beide Schauspielerinnen den Film perfekt tragen. Ein weiteres Plus ist die bereits erwähnte Einbindung der Opfer, was eine immense Wirkung entfaltet. So sind Samantha Morton, Angela Yeoh und Jennifer Ehle als ehemalige Weinstein-Mitarbeiterinnen zu sehen, die dem Zuschauer zeigen, dass nicht nur Schauspielerinnen Schlimmes über sich ergingen ließen, sondern auch einfache Angestellte nicht vor ihm sicher waren. Tatsächlich war jede Frau, die in irgendeiner Form beruflich abhängig von Weinstein war, ein potenzielles Opfer. Dies veranschaulicht die Dimension, in der jahrzehntelang Missbrauch und Nötigung an der Tagesordnung waren. Den berührendsten Auftritt absolviert indessen Schauspielerin Ashley Judd, die sich hier selbst spielt. Auch Judd war Opfer von Übergriffen und wurde später auf Weinsteins Anstrengungen hin systematisch in Misskredit gebracht. So äußerte sich Peter Jackson später, u.a. Judd nicht für seine DER-HERR-DER-RINGE-Trilogie (2001-2003) berücksichtigt zu haben, da Weinstein im Vorfeld vor einer Zusammenarbeit warnte. Judds kleine aber einprägsame Auftritte verleihen dem Film nochmal eine ganz neue Ebene von Authentizität.
Auch die Inszenierung wirkt hier wie aus einem Guss. Maria Schrader verpackt die vielen Gesichter, Aussagen und Namen kongenial, so dass SHE SAID nie unübersichtlich wird, sondern den Zuschauer sinngemäß an die Hand nimmt und durch den Rechercheprozess führt. Die kühlen Bilder und der nüchterne Erzählstil geben den Schilderungen nochmal ganz neue Kraft. Auch das Ende wurde stark gewählt. Sobald der Publish-Button bei der New York Times angeklickt wird, geht man in den Abspann über, denn der Rest ist bekanntlich Geschichte. Besser hätte dieser Film nicht enden können.
Universal Pictures veröffentlichte den Film kürzlich im Heimkino. Zur Sichtung lag uns die Blu-ray vor. Das Bild ist sauber und klar, der Ton ebenso gut. Im Bonusmaterial finden sich ein Featurette zur Veröffentlichung der Geschichte, sowie der Trailer. Ein Wendecover ohne FSK-Flatschen ist ebenso vorhanden.
Fazit:
Mit SHE SAID (2022) gelang Maria Schrader ein bei den Preisverleihung sträflich vernachlässigtes aber dennoch hochspannendes Drama, das nicht nur einen der größten Hollywood-Skandale der letzten Jahre oder den Grundstein der #MeToo-Bewegung portraitiert, sondern auch ein Plädoyer für investigativen Journalismus darstellt, das nicht dem Täter, sondern den Opfern eine Stimme gibt. Ein trockener aber ungemein packender Film, den man sich unbedingt mal ansehen sollte.
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