Hier gibt es kein betörendes Wesen mit Schlangenfrisur, welches neugierige Blick mit Versteinerung tadelt. Stattdessen handelt es sich beim zweiten Film der brasilianischen Regisseurin Anita Rocha da Silveira um eine gar nicht einmal so abwegige, düstere Zukunftsvision, deren Albtraum religiösem Fanatisimus und rechtsgerichteter, politischer Tendenzen zugrunde liegt. Das Land des Karnevals wird in dieser, von DONAU FILM veröffentlichten, satirischen Horrordystopie, von seiner bitterbösen Seite gezeigt. Surreal und verstörend – aber lohnt sich der Film auch?
Drehbuch und Regie: Anita Rocha da Silveira
Darsteller: Mariana Oliveira, Lara Tremouroux, Joana Medeiros, Thiago Fragoso
Artikel von Christian Jürs
Suspiria! Suspiria! – Anita Rocha da Silveiras Film bietet in den ersten Szenen bereits eine sich wild räkelnden Dame, die zur surrealen, grün-roten Ausleuchtung wirkt, als entspränge sie der Mütter-Trilogie von Altmeister Dario Argento. Optisch erinnert Medusa nicht selten an den Giallokönig, doch der Film geht seinen ganz eigenen Weg.
Und so werden wir Zeuge einer schockierenden Szene, in der eine junge Dame von mehreren Frauen mit weißen Gesichtsmasken durch die nächtlichen Straßen verfolgt und anschließend zusammengeschlagen und -getreten wird. Als Sünderin und Hure wird sie beschimpft, nur weil sie des Nachts allein nach Hause gehen wollte. Die Aktion wird stolz von den Täterinnen mit dem Smartphone aufgenommen, als Beleg für ihre Glaubenstat. Dann lassen die Verfolgerinnen von der schwer verletzten Frau ab, die Masken werden fallen gelassen und wir bekommen einen Blick auf mehrere junge Frauen präsentiert, die zufrieden weiter ihres Weges gehen. Ein Sieg gegen das Böse – in den Augen der mächtigen Kirche, die Brasilien zum Gottesstaat werden ließ.
Die Hexen, die bei Argento noch übernatürlicher Natur sind, bestehen hier aus äußerst realen, jungen Frauen, die vom radikalen Christentum einer Gehirnwäsche unterzogen wurden. Jungfräulichkeit und Enthaltsamkeit gelten als das höchste Gut, bis der Tag der Auserwählung gekommen ist, an dem sich die männlichen Kirchendiener ihre Auserwählte aussuchen dürfen. Das mag nach finsterem Mittelalter klingen, ist aber in einigen Ländern immer noch erschreckende Realität. Wer weiß, wie es uns irgendwann ergeht, erschreckende Tendenzen innerhalb der politischen Stimmung sind auch bei erkennbar.
Medusa folgt der jungen Mariana (Mariana Oliveira), die Teil dieser religiösen Gemeinschaft, sprich Sekte, ist und des nachts auf die Jagd geht, während sie tagsüber christliche Propaganda-Popsongs mit ihrer gläubigen Kirchen-Mädchenkombo performt. Quasi die No Angels ohne das „No„. Angeführt wird die extreme Glaubensgruppe von einem manipulativen, charismatischen Pastor (Thiago Fragoso), der die reinen Frauen und eine Reihe sportlicher, junger Männer um sich scharrt, die wie in Trance seinem Evangelium folgen. Homosexualität ist tabu, Sex oder gar unkeusche Gedanken vor der Ehe ebenso. Die Frau muss rein und der Mann stark sein. Ein deutlicher Seitenhieb – und gleichzeitig ein Warnhinweis – auf den damals herrschenden, brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, der für seine rechtsextremen Tendenzen bekannt war.
Der Glaube, der hier propagiert wird, fußt auf der Legende einer ganz besonders schlimmen Sünderin namens Melissa (Bruna Linzmeyer), die für ihre Schande büßen musste, indem man ihr Gesicht mit Benzin übergoss und anzündete. Die Legende besagt, dass sie seither irgendwo unerkannt mit entstellter Gesichtshaut ein trauriges Dasein führt. Erschreckend, wie die jungen Sektenmitgliederinnen diese Geschichte mit einem süffisanten Lächeln feiern. Erst als Mariana selbst bei einer ihrer Attacken im Gesicht verletzt wird und fortan eine sichtbare Narbe davonträgt, beginnen Zweifel in ihr zu keimen. Sie begibt sich auf die Suche nach Melissa, um herauszufinden, was damals wirklich geschah. Dabei werden ihr die Handlungen ihrer Glaubensgemeinschaft nach und nach fremder.
Medusa ist wahrlich kein einfaches Stück Kino, zumal Donau Film den Film ohne Synchronisation (dafür mit deutschen Untertiteln) veröffentlicht hat. In ästhetischen, teils neonbelichteten, teils düsteren Bildern (je nachdem, was gerade gezeigt wird), möchte man die Damen am liebsten einmal kräftig durchschütteln und zur Besinnung bringen. Das Ganze ist durchdacht erzählt und gefilmt und gut gespielt. Hier und da ein wenig zu langsam und ausufernd geschildert, geht der Film trotzdem an die eigenen Nieren. Arthouse-Kino der durchaus wichtigen Art.
Bild- und Tonqualität sind super. Im Bonusbereich gibt es ein Interview mit der Regisseurin, entfernte Szenen, eine Featurette, ein Video von der Filmpremiere in New York, Trailer und ein 16-seitiges Booklet. Die Hülle der Blu-ray und DVD befindet sich in einem Pappschuber. Ein Wendecover ohne FSK-Logo ist vorhanden.
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