Willkommen auf der Müllkippe Hongkong. Dass die asiatische Weltstadt gravierende Probleme mit der Überproduktion von Abfall hat, ist schon seit Jahren bekannt. Dass allerdings ein Genrefilm um die Ecke kommt, der dem Publikum dies schmerzlich vor Augen führt, ist überraschend. Dabei ist all der Unrat und Schmutz witzigerweise genau Das, was den Thriller LIMBO (2021) so besonders macht, fühlte sich schon lange kein Film mehr so dreckig und unangenehm an wie die in stylische Schwarz/Weiß-Bilder getauchte Mörderhatz von Regisseur Soi Cheang, die im Rahmen der Berlinale 2021 ihre Weltpremiere feierte und nun endlich von Capelight Pictures im Heimkino veröffentlicht wurde. Warum ihr diesen abgründigen Trip nicht verpassen solltet, erfahrt ihr in unserer Kritik.

Originaltitel: Zhí Chi

Drehbuch: Kin-Yee Au, Kwan-Sin Shum

Regie: Soi Cheang

Darsteller: Gordon Lam, Cya Liu, Mason Lee, Younus Howlader, Hiroyuki Ikeuchi…

Artikel von Christopher Feldmann

Handlung:

Hongkong wird von einer Serie brutaler Morde erschüttert: Ein skrupelloser Killer macht Jagd auf Frauen und hinterlässt die abgetrennten Hände seiner Opfer überall in der Stadt. Detective Cham (Gordon Lam) und sein Kollege Will (Mason Lee) werden mit dem Fall betraut. Als ihnen bei den Ermittlungen die junge To (Cya Liu) über den Weg läuft, gerät Chams Welt aus den Fugen. Das Mädchen ist verantwortlich für einen schrecklichen Unfall, der einst Chams Leben zerstört hat. Zwischen seinem Hass auf To und den schweren Folgen ihrer gemeinsamen Vergangenheit, verliert der erfahrene Cop beinahe das Ziel aus den Augen. Bis es fast zu spät ist, die einzige Person zu retten, die auch ihn retten kann.

Mittlerweile dürften einige Stammleser wissen, dass ich eine besondere Schwäche für Serienkillerthriller habe und mir in diesem Bereich so ziemlich Alles ansehe, was die Film- und Serienwelt so hergibt. Daher war es natürlich unausweichlich, auch LIMBO (2021) zu sichten, immerhin bekam der Film seit seiner Premiere im Rahmen der Berlinale 2021 schon so einiges an Vorschusslorbeeren. Man soll ja bekanntlich nicht den Tag vor dem Abend loben, jedoch belehrte mich dieses düstere, bis ins Mark nihilistische Werk eines Besseren, denn Soi Cheangs Neo-Noir-Psychokrimi ist ein wahres Biest von Film, welches nicht nur als reine Genreunterhaltung funktioniert, sondern auch ein finsteres Bild der Gesellschaft zeichnet und darüber hinaus Themen wie sozialer Abstieg, Schuld, Sühne und Vergebung behandelt.

Man sollte vorab klarstellen, dass das eigentliche Krimielement, nämlich die Jagd zweier Polizisten nach einem Frauenmörder, gar nicht mal das große Ding ist. Natürlich beackert LIMBO die gewohnten Tropes, wie etwa das ungleich wirkende Ermittlergespann, die nervenaufreibenden Nachforschungen, Leichenfunde etc.. Zu jeder Zeit schwingt (nicht nur inhaltlich) ein wenig SE7EN (1995) mit, der ebenfalls die bekannten Plot-Points vereint, sich aber noch viel ausführlicher auf die Mordserie konzentriert. In LIMBO ist das Ganze lediglich eine Bühne für die persönlichen Themen, die sich aus der Handlung heraus ergeben und bis zum Ende verarbeitet werden. Sei es „Detective Cham“, der durch sein tragisches Familienschicksal desillusioniert seinen Job verrichtet und analog zu seiner Umgebung sichtbar abgenutzt und schmuddelig wirkt, oder sein neuer Kollege „Will“, der mit ambitioniertem Auftreten und akkuratem Erscheinungsbild so etwas wie das Licht am Ende des Tunnels darstellt, spätestens nach der Hälfte aber ähnlich abgerockt durch die Gegend läuft und dessen Zahnschmerzen als Verdeutlichung des Leids und der Hoffnungslosigkeit immer schlimmer werden, so dass er mehrere Schmerztabletten auf einmal schlucken muss. Die tragischste Figur ist dabei allerdings die Kleinganovin „Wong To“, die mit dem Schmerz „Chams“ unmittelbar verknüpft ist und reichlich Prügel kassieren muss, nicht nur vom Ordnungshüter selbst, sondern auch von Junkies, Gangstern und der maroden Gesellschaft. Das Schicksal der Protagonisten und ihre Emotionen sind der Motor der Geschichte, weswegen es gar nicht mal so auffällt, dass die Serienkiller-Geschichte relativ überraschungsarm ist und eigentlich nur das klassische Plot-Device darstellt.

In dieser Geschichte gibt es keine Helden, kein Happy-End (das verrät schon die Eröffnungsszene), sondern nur Schmerz und Gewalt, Leiden und Trauer. Soi Cheang zeichnet ein unheilvolles Bild Hongkongs, vielleicht eine Art Zukunftsvision oder auch eine aktuelle Zustandsbeschreibung – da ich noch nie in Hongkong war, kann ich dazu keine Meinung abgeben.

Wozu ich allerdings eine Meinung abgeben kann, ist die wahnsinnig intensive Inszenierung. Cheang, der sich durch Filme wie DOB BITE DOG (2006) einen Namen machen konnte und Actionfans durch den von ihm inszenierten Kracher SPL 2 aka LETHAL WARRIOR (2015) geläufig sein dürfte, widmete sich hier nach seinen Ausflug ins Fantasy-Genre mit THE MONKEY KING (2014) nebst Fortsetzungen, wieder einer härteren Gangart. LIMBO ist ungeheuer fies, stellenweise sogar nihilistisch. Alleine was „Wong To“ im Verlauf der Handlungen so alles erleiden muss, ist teilweise schon heftig. Exemplarisch dafür ist eine Szene, in der sie von Gangstern verfolgt wird und sich dabei sämtlicher Attacken mit allen möglichen Gegenständen erwehren muss. Eine famose Actionsequenz aber auch harter Tobak, denn immerhin ist sie das kleine Herz in dieser kalten Umgebung, das nach Vergebung sucht. Mit ihr fühlt und fiebert der Zuschauer mit.

Das eigentliche Prunkstück ist allerdings die Optik. Der Film präsentiert uns seine Bilder Schwarz/Weiß, was ein ungeheurer Pluspunkt für die Atmosphäre ist. Hongkong ist hier eine graue Hölle, trist, dunkel und verkommen, quasi die asiatische SIN CITY (2005), in der es vor kriminellen Gestalten nur so wimmelt, Obdachlose an jeder Ecke hausen und sich Junkies zwischen Müllsäcken den nächsten Schuss setzen. Ein Moloch, der allerdings mit so viel Liebe zum Detail gestaltet ist, dass nahezu jede Szene ein Kunstwerk für sich darstellt. Jederzeit sind allerlei Nuancen zu erkennen, was auf sehr akribische Set-Designer schließen lässt. Der Müll ist hier fast schon der eigentliche Hauptdarsteller, türmen sich die Säcke doch meterhoch, Alles ist dreckig und man kann als Zuschauer den Unrat förmlich riechen, zwischen dem die Cops nach verlorengegangenen Waffen und Leichenteilen wühlen müssen. Dazu regnet es permanent, was dem Ganzen natürlich noch die Krone aufsetzt. Ein Setting, das die Verkommenheit transportiert, mit so viel Wucht, dass man nach dem Abspann duschen will. Für diese Seherlebnis sorgen natürlich auch die Darsteller, von denen Cya Liu das absolute Highlight ist, spielt sich die Frau doch förmlich die Seele aus dem Leib und liefert eine Darstellung ab, die man so schnell nicht vergisst.

Capelight Pictures veröffentlichte den Thriller als Mediabook, inklusive 4K-Scheibe und Blu-ray, sowie als DVD und als Digitalversion. In Sachen Bild- und Tonqualität ist die UHD aller erste Sahne. Der Sound hat richtig Druck und ist hervorragend abgemischt, das Bild besticht durch eine sehr gute Schärfe und den richtigen Kontrast. Lediglich die Extras sind etwas schmal. Neben dem obligatorischen, 24-seitigen Booklet finden sich lediglich Trailer im Bonusmaterial.

Fazit:

LIMBO (2021) ist ein Biest von einem Film, ein brutaler, düsterer und optisch brillanter Hongkong-Thriller, dessen Figuren und Schicksale den eigentlichen Handlungsmotor bilden, während die Jagd nach dem Frauenmörder lediglich Beiwerk ist. Dennoch ein exzellent gefilmter und ungeheuer atmosphärischer Film, den man als Fan des Genres unbedingt sehen sollte.

Amazon-Links:

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DVD

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