Nach vielen Jahren im Karrieretief meldete sich der einst erfolgreiche Hollywoodstar Brendan Fraser fulminant zurück. In THE WHALE (2022) verkörpert der DIE-MUMIE-Star einen adipösen Englischlehrer, der nach Jahren Zugang zu seiner entfremdeten Tochter sucht. Das Drama von Darren Aronofsky, welches auf dem gleichnamigen Theaterstück basiert, bescherte Fraser nicht nur ein vielbeachtetes Comeback, sondern auch den Oscar als bester Hauptdarsteller. Plaion Pictures brachte den preisgekrönten Film im April in die deutschen Kinos und veröffentlichte ihn nun in mehreren Editionen auf dem Heimkinomarkt. Ob das zweistündige Kammerspiel am Ende auch inhaltlich überzeugen kann, erfahrt ihr in unserer Kritik.
Originaltitel: The Whale
Drehbuch: Samuel D. Hunter; basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück
Regie: Darren Aronofsky
Darsteller: Brendan Fraser, Sadie Sink, Hong Chau, Ty Simpkins, Samantha Morton…
Artikel von Christopher Feldmann
Brendan Fraser war in den späten 1990er und 2000er Jahren einer der großen Hollywoodstars. Durch erfolgreiche Filme wie STEINZEIT JUNIOR (1993) und GEORGE – DER AUS DEM DSCHUNGEL KAM (1997) mauserte sich Fraser zum Publikumsliebling, der endgültige Durchbruch erfolgte mit dem Fantasy-Blockbuster DIE MUMIE (1999). Daraufhin drehte er nicht nur zwei erfolgreiche Fortsetzungen, sondern auch Komödien wie TEUFLISCH (2000) oder Abenteuerfilme wie DIE REISE ZUM MITTELPUNKT DER ERDE (2008), nicht zu vergessen sein zu Tränen rührender Auftritt in der Kult-Sitcom SCRUBS (2001-2010), der noch jedem Fan der Serie im Gedächtnis sein dürfte. Doch es folgte irgendwann ein Karriereknick. Fraser zog sich, wie er später enthüllte, aufgrund von sexueller Nötigung gegen ihn mehr und mehr aus Hollywood zurück, die Rollenangebote wurden immer kleiner und die großen Erfolge blieben aus. Seine Scheidung trieb ihn daraufhin in den finanziellen Ruin und die zahlreichen von ihm absolvierten Stunts, vor allem in DIE MUMIE: DAS GRABMAL DES DRACHENKAISERS (2008), hatten zur Folge, dass sich der Schauspieler mehreren Operationen unterziehen musste, da sein Körper schwere Schäden genommen hatte. Mit der Zeit verschwand er förmlich von der Bildfläche, trat zunehmend in Seriengastrollen auf und verdingte sich als Voice-Actor, sowie als Nebendarsteller in DTV-Gurken wie THE POISON ROSE (2019). Umso gespannter war das Publikum, als bekannt wurde, dass Fraser unter der Regie von Darren Aronofsky einen fettleibigen, 270 Kilo schweren Einsiedler spielen würde und so ein internationales Comeback feiern würde. Und tatsächlich kann man dies als gelungen bezeichnen, spielt das Ex-Blockbusterzugpferd hier wahrscheinlich die Rolle seines Lebens und liefert dabei eine Performance ab, die man nicht mehr so schnell aus dem Kopf bekommt. Das tröstet glücklicherweise etwas darüber hinweg, dass THE WHALE (2022) ansonsten eher oberflächliches Leidenskino ist, dem etwas mehr Tiefgang gut getan hätte.
Handlung:
Der Freitod seines Partners hatte bei Charlie (Brendan Fraser) zu einer selbstzerstörerischen Fresssucht geführt. Jetzt wiegt der Literaturprofessor 300 Kilo, sein Blutdruck steigt ins Unermessliche – laut seiner Krankenschwester Liz (Hong Chau) hat er nicht mehr lange zu leben. Dass er vor acht Jahren Frau und Kind wegen dieses Mannes verließ, nagt an ihm. Seine Chance auf Versöhnung sieht Charlie gekommen, als eines Tages seine Tochter Ellie (Sadie Sink) vor der Tür steht. Doch der fettleibige Vater stößt bei dem tief verletzten Teenager nur auf Ablehnung. Wird das Mädchen ihm je vergeben können?
Es ist nicht das erste Mal, dass Regisseur Darren Aronofsky einen bereits abgeschriebenen Darsteller noch einmal zu neuem Glanz verholfen hat. Bereits 2008 holte er für sein Drama THE WRESTLER das abgehalfterte Ex-Sexsymbol Mickey Rourke vor die Kamera, was nicht nur Kritiker wie Publikum begeisterte, sondern auch dem Hauptdarsteller noch einmal ein kleinen Karriereschub gab. Auch Brendan Fraser dürfte angesichts seiner Performance und dem für selbige gewonnenen Oscar nochmal einen zweiten Karrierefrühling durchleben, zumindest ist er im neuen Scorsese-Film KILLERS OF THE FLOWER MOON (2023) mit von der Partie, wenn auch nur in einer Nebenrolle. THE WHALE ist allerdings ganz auf Fraser zugeschnitten und gibt dem Mimen genug Raum, um sein ganzes Können abzurufen.
Der im 4:3-Bild gehaltene Film kommt als Kammerspiel daher und spielt zu 98% in der Wohnung des 270 Kilo schweren Protagonisten. Lediglich für eine Zigarettenpause und ein kurzes Gespräch bewegt sich die Kamera ausnahmsweise vor die Tür, ansonsten ist sie zu jeder Zeit dicht an „Charlie“. Aronofsky weiß, sein Material effektiv in Szene zu setzen und das krasse Übergewicht seiner Hauptfigur durch banale Alltagssituationen auf unangenehme Weise in den Vordergrund zu rücken. So lässt „Charlie“ nicht nur stets seine Webcam während den von ihm geleiteten Onlinekursen aus (er erzählt immer wieder, sie sei kaputt), er lässt seinen Pizzalieferanten zudem immer das Essen vor der Tür ablegen und das Geld aus dem Briefkasten nehmen. Ein heruntergefallener Schlüssel wird ebenso zum unüberwindbaren Problem wie das bloße Aufstehen von der Couch ohne als Stütze dienende Gehhilfe. Wenn man etwas harsch ist, könnte man Aronofsky vorwerfen, hier immer etwas in Richtung „Misery Porn“ abzudriften, bezieht der Film seine Tragik doch in erster Linie aus der Fettleibigkeit „Charlies“, die lebensbedrohliche Ausmaße angenommen hat. Dazu passt es auch, dass Fraser hier optisch wirklich erschreckend zurechtgemacht wurde. Fatsuit, Prothesen, strähniges Haar, vor Schweiß triefende Shirts, seine Figur würde selbst ohne das maßlose Übergewicht ziemlich ungesund aussehen. Der Oscar für das beste Make-Up ist hier absolut gerechtfertigt.
Doch auch der Schauspieler kann mit der optischen Verwandlung mithalten und ist die größte Stärke des Films. Fraser ist eine absolute Wucht (im wahrsten Sinne des Wortes) und legt viele Nuancen in sein Spiel. Hier sitzt jede Bewegung, so dass man als Zuschauer nur beim Anblick der Figur tief traurig gestimmt wird. Dazu spielt er „Charlie“ mit so viel Herz, Wärme und Empathie, dass er das Ganze mühelos tragen kann und man sich am Ende wünscht, noch etwas mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Auch die anderen Darsteller, allen voran Hong Chau, machen einen ordentlichen Job. Gerade Chau ist als Freundin und Krankenschwester, die gleich zu Beginn eine tödliche Herzinsuffizienz diagnostiziert, ein weiterer emotionaler Anker des Films.
Die Probleme von THE WHALE liegen leider im Drehbuch, das von Samuel D. Hunter geschrieben wurde, der somit sein eigenes Theaterstück für die große Leinwand adaptieren durfte. Denn dieses schafft es leider nie unter die Oberfläche zu dringen und die angesprochenen Themen tiefer zu beleuchten. Allein schon das Thema Fettleibigkeit und die dieser zu Grunde liegenden Fressucht wird kaum betrachtet. „Charlie“ stopft sich einfach mit Pizza, Chicken Wings und Schokolade zu, wie sich diese Krankheit verhält bleibt aber eher wage und auch die Fressattacken wirken eher random. Natürlich werden im Film die Gründe und auch die Trauer „Charlies“ erläutert, es bleibt aber eher bei Lippenbekenntnissen. Auch die Beziehung zu seiner Tochter, gespielt von STRANGER-THINGS-Star Sadie Sink, bleibt relativ oberflächlich, zudem deren Figur recht toxisch ihrem Vater gegenüber ist. Auch die Figur des Missionars „Thomas“ ist im Endeffekt vollkommen überflüssig, trägt er doch wenig zur Handlung bei. Insgesamt wird THE WHALE seinem eigenen Aufhänger nicht gerecht und verpasst es, dem Zuschauer neue Blickwinkel zu eröffnen, die dazu beitragen könnten, Adipositas mit anderen Augen zu sehen. Im Grunde geht es im Film auch um das Thema Empathie, der Film selbst in vielen Momenten allerdings wenig empathisch, zielt er doch durchaus darauf ab, die Tränendrüsen seines Publikums zu strapazieren. War ich zuvor noch unsicher, ist die Gewissheit nun stärker, dass es sich durchaus um eine Art „Misery Porn“ handelt, auch wenn dieser durchaus noch zu Herzen geht, wenn man nicht ganz so genau hinsieht.
Immerhin hält sich Aronofsky hier inszenatorisch merklich zurück, war die Angst nach dem völlig wahnsinnigen MOTHER! (2017) doch große, dass es der Filmemacher auch hier übertreiben könnte.
Am Box-Office konnte THE WHALE bei einem Budget von drei Millionen US-Dollar über fünzig wieder einspielen, in Deutschland erschloss der Film aber lediglich das Arthouse-Publikum und fand nicht den Publikumszuspruch, den man sich vermutlich erhofft hatte. Plaion Pictures kümmerte sich nun auch um die physische Auswertung und veröffentlichte ihn als Blu-ray, DVD und im Mediabook, inklusive 4K-Version. Letzteres erschien in zwei Covervarianten, wobei Cover B exklusiv über Amazon vertrieben wird. Uns lag zur Sichtung die Blu-ray vor, der 7.1-Ton ist hervorragend, das Bild ist ebenso gut, wobei natürlich die sehr analog wirkende 4:3-Optik auch so intendiert ist. Neben dem Trailer beinhalten die Extras noch ein Interview mit den Darstellern, ein Interview mit Fraser und Drehbuchautor Samuel D. Hunter, ein Making-Of und ein Featurette über die Filmmusik. Die 4K-Edition im Mediabook beinhaltet zusätzlich noch ein Booklet von Stefan Jung.
Fazit:
Mit THE WHALE (2022) gelang Brendan Fraser ein wohlverdientes Comeback auf der großen Leinwand. Der im Fatsuit aufspielende Mime ist das größte Plus dieses ansonsten sehr trändendrüsigen und pathetischen Dramas, das die wirklich interessanten Themen etwas stiefmütterlich behandelt und schnell in Richtung „Misery Porn“ abdriftet. Dennoch bekommt man hier starkes Schauspielkino geboten, welches Fraser mühelos auf seinen schwitzigen Schultern trägt.
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