Zunächst bitten wir die einwöchige Unterbrechung unseres Kulturprogramms zu entschuldigen. Doch, was lange währt, wird doch noch gut. Und so stellen wir uns heute die Frage: Ist es die Aufgabe eines TV-Redakteurs zu wissen, ob der Zuschauer will, was der Zuschauer sich wünscht? Und damit herzlich willkommen zu Fremd-Körper-Welten, unserer heutigen Ausgabe von Televisionen & Kulturinformatik. Bitte anschnallen, ein weiterer, wilder Ritt durch die Irrungen und Wirrungen des Fernsehens beginnt jetzt.
Ein Essay von Manuel Hinrichs
Wo waren wir? Ach ja, in Bella Italia. Land des Lichts und der Kultur.
Es ist mir nach wie vor ein Rätsel, wie vielschichtig italienische Serien das Thema der organisierten Kriminalität angehen können, ohne auch nur ein einziges Mal langweilig oder wiederholend zu sein. Es gab nämlich tatsächlich eine Zeit, in der ich dachte, dass bereits alles zum Thema gesagt und jeder Aspekt abgehandelt sein könnte. Und schon wieder lag ich völlig falsch.
Zwischenzeitlich kamen nämlich nicht nur die zu jeder Zeit glaubwürdigen Serien Il Cacciatore-The Hunter (z.Zt. 3 Staffeln / 2017-2023), L’Ora -Worte gegen Waffen (2021) oder Suburra (3 Staffeln / 2017-2020), sondern auch die ultimative filmische Antwort auf die Verquickung der kalabrischen N’drangheta, südamerikanischen Milizen und globalen Handelswegen: ZeroZeroZero (2019) hielt einem vor Augen, welchen Preis jedes verkaufte Gramm einer Droge tatsächlich hat.
Einen ganz anderen Ansatz verfolgte die Serie Christian (z.Zt. 2 Staffeln / 2022-2023), in welcher ein lokaler Mafioso entdeckt, dass er die göttliche Fähigkeit des Heilens besitzt. Eine nicht uninteressante Prämisse. Und schließlich kam nicht zuletzt auch die wahrscheinlich beste Serie überhaupt aus Italien, aber da möchte ich Euch noch um ein wenig um Geduld bitten.
Ungefähr zur selben Zeit kam aus der Türkei die fantastische Thriller-Drama-Serie Fatma (2021), in welcher eine Putzfrau immer mehr Gefallen daran findet, Männer zu töten, die ihr gegenüber unhöflich oder dreist waren. Diese Serie war wirklich eine tolle Überraschung. Ebenso, wie die australische Serie Mr. Inbetween (3 Staffeln / 2018-2021). Sie setzte ein liebevolles und bemerkenswert perfektes Ausrufezeichen aus Down Under, Mate.
Norwegen brachte uns mit Beforeigners (3 Staffeln / 2019-2023) nicht nur einen hochinteressanten Kommentar zu den Flüchtlingssituationen der gesellschaftlichen Gegenwart, sondern mit Occupied (3 Staffeln / 2015-2020) auch ein beunruhigendes Statement zur politischen Gegenwart. Nur eben mit etwas anderen Akteuren.
Island bescherte uns in einer Koproduktion mit Deutschland eisige Spannung mit Trapped (3 Staffeln / 2015-2021) und ein Wiedersehen mit Olafur Darri Olafsson, den man spätestens seit dem fantastischen Film The Deep (2012) auf dem Schirm hatte.
Ich erwähnte ja schon, wie gerne ich beim Schauen von Eiskrimis friere, daher bekämen beide Produkte fünf von fünf Schneeflocken – wenn ich etwas auf Bewertungen geben würde.
Wie schnell aus Fiktion eine Realität werden kann, zeigte auch die Ukraine mit der durchaus lustigen Serie Diener des Volkes (3 Staffeln / 2015-2019), in welcher der aktuelle Präsident der Ukraine, den zufälligen Präsidenten der Ukraine spielte – und auch das bereits sehr überzeugend.
Und die USA machten das, was sie am besten können: mit absoluter Gewalt in die offene Wunde des Drogenkrieges drücken: Narcos (3 Staffeln / 2015-2017), Narcos Mexico (3 Staffeln / 2018-2023) und El Chapo (3 Staffeln / 2017-2018) setzten Maßstäbe in Sachen Realismus. Vorher arbeitete sich allerdings schon Chile mit Profugos (2011-2013) am Drogenhandel und den Verbleib ehemaliger Mitglieder der Todesschwadronen ab.
Mit fünf Jahren Verspätung erschien schließlich auch die Serie Waco (2018), die den völlig unnötigen Angriff des ATF auf die Branch Davidian-Gruppe um David Koresh im April 1993 recht präzise wiedergab. Es war wohl eine Mischung aus einem multiplen Behördenversagen, diversen Ausbildungsdefiziten und der fatalen Neigung der Amerikaner, Situationen zu kontrollieren, ohne selbst die psychologischen Voraussetzungen dafür zu erfüllen, die hier in einem Desaster mündeten.
Aber apropos „Desaster“, welches Land könnte wohl jetzt noch fehlen?
Genau, Deutschland! Das ehemalige Land der Dichter und Denker, des deutschen Waldes und der beiden Meere – und natürlich auch schon wieder das Land der Präventivhaft; das Haar sitzt.
Zugegeben, gegenwärtig ist es eher das Land der übermenschlich großen Ambitionen, in dem es an den Umsetzungen hapert. Auf nahezu jedem Gebiet. Aber dafür bräuchten wir etwas mehr Kontext. In unserem Aufbruch in die TV-Moderne entstanden jedenfalls erst einmal Serien wie Im Angesicht des Verbrechens (2010), Babylon Berlin (bald 5 Staffeln / 2017-2024) oder 4 Blocks (3 Staffeln / 2017-2019) und alle drei Serien schienen inhaltlich recht interessant.
Nicht zuletzt aber auch eine Freude, dass sich hierzulande endlich auch mal jemand „Genre“ getraut hatte. Allerdings währte diese Freude nur kurz. Denn in Deutschland wird das Wort „Genre“ mit dem Verlust von Marktanteilen gleichgesetzt, weil Genre-Filme oder Serien ja per Definition nicht alle Teile der Zuschauerschaft erreichen können. So die Unterstellung. Deshalb hatten Autoren und TV-Redakteure auch eine Idee:
Wie wäre es, wenn man beides haben könnte?
Wie sich herausstellte, war das aber die denkbar schlechteste Lösung.
Anhand eines Beispiels aus dem Kalten Krieg möchte ich kurz erläutern, was passiert, wenn man unbedingt zwei Dinge zur selben Zeit haben möchte.
Als Deutschlands Bundeswehr in den 1960er Jahren beispielsweise einen Höhen-Abfangjäger bestellte und mit der Lockheed F104G Starfighter das perfekte Flugzeug für diese Aufgabe erhielt (schnellste Steigfähigkeit, wendig und schlagkräftig), hatten die deutschen Verantwortlichen die Idee, aus diesem Skalpell einen Vorschlaghammer zu bauen und hängten der Maschine zwei schwere Zusatztanks an die Stummelflügel, sowie weitere Waffenträger unter den Rumpf. Man wollte, dass der Abfangjäger auch als Bomber einsetzbar sein sollte.
Diese Fähigkeit hatte aber leider einen immensen Preis, denn das Flugzeug hatte nicht nur seine Agilität verloren. Nein, es stand sogar die generelle Flugfähigkeit in Frage. Von 916 nach Deutschland ausgelieferten Exemplaren, stürzten 269 Stück ab, ein knappes Drittel! In der Hochphase der Unglücke stürzten innerhalb von 18 Monaten unfassbare 44 Flugzeuge dieses Typs ab. Ignoranz und die Dummheit der Verantwortlichen führte dazu, dass 116 Piloten starben. Ohne Kriegseinsatz!
Was ich mit diesem traurigen Beispiel aus der deutschen Geschichte sagen will: Wenn man beides zur selben Zeit haben möchte, dann geht das eine immer auf Kosten des anderen. Es verdeutlicht recht anschaulich, wie anmaßend es ist, eine „eierlegende Wollmilchsau“ überhaupt in Betracht zu ziehen, ohne die dafür nötigen handwerklichen Fähigkeiten zu besitzen.
Natürlich ist klar, dass bei unserem Thema der „Filmkultur“ keine Menschen sterben. Doch handwerklich verhält es sich genauso. Und deswegen ist es leider schon wieder unerlässlich, ins Detail zu gehen. Immer wieder kann man nämlich beobachten, dass in deutschen Produktionen Genre und seichte Beziehungsgeschichten nebeneinander, anstatt miteinander existieren.
Aber wie kommt so etwas überhaupt zustande? Wenn man sich schon auf diese beiden Bereiche festlegt, sollte es dann nicht das Mindeste sein, dass Autoren den künstlerischen Kniff, beides glaubhaft miteinander zu verweben, beherrschen und die Beziehungsgeschichten innerhalb ihres gewählten Genres nicht ständig überbetonen sollten?
Und wenn eine Überbetonung schon nicht zu verhindern ist, wieso greift dann nicht die Dialogregie ein und verhindert die gröbsten Schmonzetten-Dialoge? Auch sie müssten doch wissen: Wenn diese zwei oder mehr Faktoren einander behindern oder einschränken, dann haben sie einen negativen Einfluss auf die Erzählung.
Es fiel mir also auf, dass ausgerechnet immer jene deutschsprachigen Produktionen multipel überzeugen, welche nur sparsam eingesetzte, oder gleich gar keine Dialoge haben. Ich werde da wirklich mal in mich gehen müssen, ob mir überhaupt noch eine Handvoll positiver Beispiele einfallen. Im Grunde gibt es ja nur zwei Möglichkeiten. Entweder, die deutschen Verantwortlichen nehmen die Verwässerung billigend in Kauf. Oder es ist ihnen schlicht egal.
Herrschaftszeiten, es kann doch nicht nur mir aufgefallen sein, dass wirklich alle Länder um uns herum in der Lage sind, Genre und Beziehungsgeschichten so zu verflechten, dass weder das Eine noch das Andere, wie ein Fremdkörper wirkt? Ist uns eigentlich in letzter Konsequenz klar, wie breit der Tellerrand ist, über den wir dann schauen müssten, um homogen erzählte Geschichten zu finden? Geschichten, in denen weder Sexual- noch Liebesbeziehungen wie künstlich hinzugefügt wirken und daher auch nicht den Erzählfluss stören?
Denn machen wir uns mal nix vor: Ein gestörter Erzählfluss, der den Zuschauer ohne Not aus der Geschichte katapultiert, ist ein absoluter Kardinalfehler, der durch nichts zu entschuldigen ist.
Die große Frage, die mich seit Jahren umtreibt, lautet also: Warum stört uns das nicht? Sollten wir vielleicht doch kein Volk von Dichtern und Denkern sein, sondern ein Volk aus futterneidischen Simpeln? Gruß in die Weiten der Republik, wo es eine unselige Verquickung aus Zeit, Rechtschreibschwäche und Internetzugang zu geben scheint. Ist denn das ganze Land ein Depp?
Wie so ein „Fremdkörper“ dann aussieht, versuche ich mal erneut in aller Ausführlichkeit anhand eines Beispiels deutlich zu machen, die Zeit haben wir ja. Die folgenden Zeilen sollen dann auch für eine bessere Einordnung dienen, sie etwas verständlicher machen.
Die hochgelobte o.g. Serie Im Angesicht des Verbrechens trat nämlich als authentische Darstellung einer SEK-Einheit der Polizei an.
Während ich diese Zeilen schreibe, merke ich schon wieder, dass es mich auch Jahre später noch sauer macht, weil selbst eine vermeintlich banale Ausgangssituation, wie der Weg eines Sondereinsatzkommandos zu einem Einsatz, nicht überzeugen konnte. Es fand dann also etwas statt, was unter gar keinen Umständen geschehen sollte: Die Macher der Serie hatten sich entschlossen, die eigenen Filmcharaktere zu verraten. Und das bereits in den ersten Spielminuten.
Weder der Autor Rolf Basedow noch möglicherweise vor Ort befindliche reale Mitglieder von Spezialeinheiten, welche dann eigentlich als Berater fungieren sollten, oder gar der Regisseur Dominik Graf selbst riefen STOP, als das Drehbuch vorgab, dass die Film-Polizisten des SEK noch Sekunden vor ihrem Einsatz über ihr Privatleben und/oder ein kürzlich stattgefundenes lockeres privates Zusammentreffen sprechen sollten. Und dies in gewaltige Resonanzräume hinein.
In diesem Falle ein Treppenhaus und ein Fahrstuhl… nur wenige Meter vom Einsatzort entfernt!
Das war nicht nur ein „Fremdkörper“! Es war das absolute Gegenteil des selbstverordneten Anspruchs der Authentizität. Es war nämlich so schlimm, dass es entweder nach schlechtem Handwerk oder einer unglaublichen Dämlichkeit aussah. Die dritte Möglichkeit mag man kaum in Betracht ziehen. Sie würde suggerieren, dass es allen Beteiligten scheißegal war.
Filmischer Realismus ist natürlich nicht dasselbe, wie die Realität. Und mal ehrlich: Was bedeutet das überhaupt „Realität“? Oder „Wahrheit“? Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass es eigentlich nur Perspektiven und Fakten gibt?
Dieses als Grundsatz betrachtend, ist es natürlich ein Fakt, dass keine Spezialeinheit der Welt so dermaßen unprofessionell wäre, dass ein Einsatz durch privat geführte Gespräche gefährdet werden würde. Im Gegenteil: Das Ziel wäre doch wohl eher, dass es keinerlei Ablenkungen gibt, Störungen verhindert würden und selbst die Einsatzkommunikation auf das Allernötigste beschränkt wäre.
Fakt wäre auch, dass jene Teile des Kommandos, die am Einsatzort kurz vor, oder schon während des Einsatzes in Plauderlaune wären, ja nicht nur eine Gefahr für die observierte Lage, sondern in erster Linie auch für das Leben ihrer Kameraden wären. Hätte eine fahrlässige Gefährdung des Einsatzzieles dann nicht einen Termin vor dem Disziplinarausschuss zur Folge? Wenn nicht sogar den Ausschluss aus der Einheit?
Was auch immer es hier letztendlich war; ob nun ein schlecht geschriebenes Buch, welches das Genre zugunsten einer Soap-Dramaturgie zu opfern bereit war, oder Desinteresse an Figuren und Fakten, Denkfaulheit oder auch nur ein intervenierender TV-Redakteur:
Die generelle Glaubwürdigkeit und der hohe Anspruch der authentischen Darstellung eines Sachverhaltes wurde einem Textverständnis geopfert, welches offenbar aus einer Telenovela entnommen wurde. Diese ersten 10 Minuten von Folge 1 waren die Visitenkarte der Serie. So, wie die ersten zehn Seiten eines Buches den Leser ja auch auf irgendeinem Level erreichen muss.
Ich machte die Serie also aus, weil exakt diese Szene die Schlagzahl, die Tonart, die Machart der Serie vorgab. Das Leben ist nämlich zu kurz für Bullshit, der versucht, den Zuschauer am Nasenring durch die Manege zu führen.
Das Feuilleton sah das ganz anders, weil das Feuilleton ein Faible dafür hat, wenn ein Hohlkörper aufgeblasen wird. Und das Feuilleton betonte hier ausdrücklich den Mut zum Genre.
Genre…? Sollten neben der korrekten Handhabung des Equipments dann nicht auch die Positionierung der Charaktere innerhalb einer Dramaturgie, die Dialoge und die Glaubwürdigkeit in den Details dazu gehören? So handwerklich?
Man muss sich wirklich fragen, was da wieder für Blitzbirnen an den Computern der Schreibstuben saßen. Heute lassen sie wirklich jeden Klotzkopf „was mit Medien“ machen… man ey.
Warum lege ich Wert auf diese minutiöse Aufarbeitung? Bin ich vielleicht nur ein kleinkarierter Erbsenzähler?
Nein, denn es sind immer die kleinen Details, hier das unprofessionelle Verhalten eines SEK unmittelbar vor einem Einsatz, an welchem der interessierte Zuschauer von Genre-Serien oder -Filmen merkt, ob der Regisseur den Inhalt seines eigenen Genre-Produktes überhaupt verstanden hat. Die Tragik bestand hier ausgerechnet darin, dass nicht nur der Autor der Geschichte oder der gegebenenfalls den Text redigierende TV-Redakteur, sondern auch der Regisseur als letzte Instanz versagt hatten, billigend in Kauf nehmend, dass der Zuschauer als solches nicht ernst genommen wurde.
Nicht zu vergessen: Eine derartig dilettantische Herangehensweise ist auch kein sonderlich respektvoller Umgang mit den Schauspielern, die in diesem Rahmen ja trotzdem ihr Bestes versuchen müssen, den dargestellten Figuren eine authentische Tiefe zu verleihen. Sollten die Beziehungen der Polizisten untereinander jedoch unerlässlich für die Geschichte sein, dann wäre der richtige Zeitpunkt für diese Interaktion nach meiner bescheidenen Einschätzung „nach Feierabend“ oder „zu Hause“, zumindest aber nach dem Einsatz-Debriefing gewesen.
Wie kann es also sein, dass diese Serie auch Jahre nach ihrem Erscheinen vom Feuilleton immer noch als herausragend authentisches Beispiel für eine deutsche Serie gelobt und als brillantes Werk eines Regie-Genies abgefeiert wird? Und was für eine Serie haben die Redakteure eigentlich geschaut?
Ich möchte ja nicht rummosern (ha, zu spät, denkt ihr?), aber ich nehme an, dass es ein „Regie-Genie“ besser hinbekommen hätte. Aber schauen wir einfach mal weiter. Was haben wir denn noch so?
Anscheinend gilt es als gesetzt, dass deutsche Filme und Serien standardmäßig und vollkommen ohne Not den Eindruck einer Rosamunde Pilcher Vorabendverfilmung hinterlassen sollen. Die Angst, die Zuschauerschaft zu verärgern, muss inzwischen so immens sein, da hier jedes Mal der Selbstzweck wohl die Mittel heiligt.
Denn natürlich wird ein ums andere Mal auch immer wieder das Uralt-Motiv des „Prinzen“ bemüht, der plötzlich auf der Bildfläche erscheint und die weibliche Protagonistin aus ihrem faden Leben retten muss. Tja, man darf sich da wohl echt nicht täuschen lassen: Das seit Generationen weitervererbte (erz-)konservative Herz spiegelt sich natürlich auch im Film wider.
Verflucht… Saga Noren (Die Brücke) oder Lisbeth Salander (Die Verblendung) würden einem verdient den Arsch aufreißen. Je nach persönlichen Vorlieben. Diese unterkomplexen und künstlich hinzugefügten Beziehungsplots fallen nämlich immer dann unangenehm auf, wenn die Konflikte einer Geschichte auch ohne diese (Pärchen-) Beziehungen funktionieren würden. Was sie, nebenbei bemerkt, in den meisten beobachteten Fällen auch ganz locker tun.
Aber
Beispiel Babylon Berlin.
Bei dieser inhaltlich durchaus interessanten Serie waren die Set-Dekorateure sehr wahrscheinlich aufgrund des international vergleichsweisen kleinen Budgets leider nicht in der Lage, die Straßen-Szenen bis in die Tiefe des Bildes mit einem überzeugenden Leben zu füllen. Zu wenige echte Menschen, zu wenig echte Fahrzeuge. Und wenn dann mal Fahrzeuge fuhren oder parkten, dann waren es in den verschiedenen Szenen offenbar immer dieselben Fahrzeuge. Zumindest in Staffel 1. So weit, so erwartbar. Ein Problem, wenngleich auch ein vergleichsweise kleines, stellte das manchmal sichtbare CGI dar. Aber auch das war hinnehmbar.
Da es, auch dem besonderen Zeitabschnitt geschuldet, nur sehr wenige echte Filmaufzeichnungen oder Photographien aus der Zeit der „Belle Époque“ zwischen den Kriegen zum Abgleich gab, bewegte man sich hauptsächlich zwischen leidlich erkennbaren Studiobauten-Straßenzügen mit ergänzendem CGI oder auch opulenten Tanzsaal-Sequenzen. Und weil ich ein absolut genügsamer Mensch bin, nahm ich auch das gelassen hin, erneut.
Aber in Kombination mit Schauspielern, die stellenweise wie auf einer Bühne spielten und – Überraschung – auch sprachen, weil sie wohl tatsächlich manchmal auch auf (Film-) Bühnen agieren mussten, hat diese Serie mich einfach einmal zu oft aus der Erzählung geworfen.
Und das brach mir nun wirklich fast das Herz.
Insbesondere auch deshalb, weil es in der näheren Vergangenheit dieses Landes ja kaum einen spannenderen und bedeutsameren Zeitabschnitt als jenen zwischen den beiden Kriegen gibt.
Okay, vielleicht mit einer Ausnahme. Und nein, ich meine nicht den Fall der Mauer, sondern diesen kleinen Zeitrahmen zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1945, und dem Entstehen der beiden deutschen Staaten im Jahre 1949. Der ist tatsächlich ähnlich spannend und interessant. Um es abzukürzen: Trotz der interessanten Grundidee schafft es Staffel 1 nicht, mich als Zuschauer bei der Stange zu halten und so entging mir Staffel 2 und 3 natürlich auch. Und wie ich hörte, gibt es auch in der vierten Staffel eine dieser Tanzsaal-Sequenzen. Sieht ganz so aus, als hätte ich nichts verpasst.
Wie diffizil dieser ganze internationale Vergleich der Serien aber wirklich ist, zeigte die extrem lokal angelegte Serie 4 Blocks. Diese Serie war tatsächlich eindeutig eine Genre-Produktion und immer extrem nah dran an den Protagonisten. Allerdings tut es mir leid:
Ohne heute noch sicht- oder hörbaren Migrationsvordergrund, mit einer sicherlich vorhandenen, aber inzwischen nicht mehr relevanten Herkunftsgeschichte und ebenfalls ohne einen goldenen Löffel im Arsch aufgewachsen, umschreibt es das Wort „Desinteresse“, welches ich an diesem abgefuckten Genre des Poser-Gangsta-Style, Clanstrukturen oder der Selbstgefälligkeit Berlins an sich habe, nur unzureichend. Noch dazu habe ich für mich auch noch nicht geklärt, ob die Serie diesen Lifestyle nicht gar zu distanzlos abfeiert.
Schon gut – ich habe es ja selbst gemerkt. Wie kann man es gut finden, dass man nah an den Charakteren dran ist und gleichzeitig Distanzlosigkeit monieren?
Tja, in genau diesem Widerspruch könnte die Stärke dieser Serie liegen.
Und ja. Auch hier überzeugten nicht alle Darsteller mit der Fähigkeit, einen Text zu sprechen und gleichzeitig eine Rolle zu spielen. Aber Wallah Habibi. 4 Blocks ist unbequem, laut, dreist, archaisch, dreckig. Sie ist der Berliner Taxifahrer unter den Serien. Nicht, dass es mir gefallen würde, angespuckt zu werden aber Genre ist, wenn man es eben nicht allen Zuschauern recht macht und ihnen auch mal, was auf die Fresse gibt… also, im übertragenen Sinne.
Somit ist sie durchaus ein perfektes Beispiel einer deutschen Genre-Produktion. Bitte mehr davon!
Zu Kida Khodr Ramadan fällt mir allerdings hauptsächlich der fantastische Film Ummah (2013) ein. Bei diesem Film ging mir das unbegründet selbstverliebte Drecks-Berlin zum allerersten Mal nicht auf den Sack. Der gezeigte Kiez war nämlich echt cool.
Auch seine Serie German Genius (2023) war ein Produkt bei der ich dachte, „genauso“ sollte es sein, damit ich dranbleibe. Und es waren zwei der seltenen Beispiele, bei denen mich der TV-Look nicht störte. Vielleicht schaue ich Ramadan deshalb gerne zu, weil er unverstellt ist. Mashallah!
Den Versuch einer Genre-Produktion merkte man auch der Serie Dark (3 Staffeln / 2017-2020) an. Leider gehört sie wieder zu jenen Beispielen mit einem störenden flachen TV-Bild. Noch dazu, weil der eigentlich recht hübsche düstere Look immer nach Nebelmaschine und Kulissenwald aussah. Selbst wenn er echt war. Auch hier konnte man Zeuge werden, wie Schauspieler ihre Dialogzeilen einfach nur aufsagten.
Und mit den bereits überstrapazierten „hölzernen“ Dialogen geht unser deutscher Ausflug leider auch in die nächste Runde, hier nun in Kombination mit handwerklichem Unvermögen, schlechtem Timing und einem unbegründet großen Ego.
European Alliance, hier federführend das ZDF, produzierte zusammen mit France Télévisions, RAI, ORF, SRF, der Nordic Entertainment Group und Hulu die Serie Der Schwarm (2023).
Hier wurde nahezu alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte.
Für ein Budget von sportlichen 44 Millionen Euro traute sich aber offenbar niemand, ein eigentlich interessantes Thema (Die Natur holt zum Gegenschlag aus) so zu erzählen, dass der Zuschauer gedanklich herausgefordert und am Ball bleiben würde. Neben ganz ordentlichem CGI musste man völlig unterforderten SchauspielerInnen zuschauen und die völlige Abwesenheit von Spannung ertragen. Schon wieder verstrickte man sich einmal mehr in bemüht konstruierten Erzählsträngen, mit einem schwulen und einem lesbischen Pärchen natürlich zeitgemäß divers, die sich aber ärgerlicherweise schon wieder an der konzeptionellen Dramaturgie der Dialoge aus einer südamerikanischen Telenovela orientierten.
Moment, hatten Deutsche nicht schon vor knapp achtzig Jahren ein Faible für Südamerika?
Damals, als unsere „gruppenführenden“ Ratten das sinkende Schiff verließen und dabei einige Hunderttausend ihrer „folgsamen“ Artgenossen vergaßen?
Nein, im Ernst: Waren bei Der Schwarm unter den grob geschätzt fünfhundert Beteiligten aus sieben Ländern keine Beteiligten „in Charge“, die mit dem Konzept einer filmischen Erzählung etwas hätten anfangen können? Warum war erneut niemand da, der „STOP“ rief?
Zahllose Medienkampagnen, Werbeveranstaltungen und Promotouren sollten den Aufprall in der harten Realität abmildern. Die Pressemeldungen ließen keinen Zweifel aufkommen, dass die Macher von der Bedeutungsschwere der Thematik sehr angefasst waren. Talkshows luden Experten für Biodiversität, Ozeanologen, Glaciologen. Meteorologen und sonstige Waldgeister ein und ersuchten um wissenschaftliche Unterfütterung. Was war noch hochgerechnete Realität, was war schon ein Hirngespinst?
Leider gab es aber einen blinden Fleck, denn die Rechnung wurde leider ohne den Autoren gemacht.
Frank Schätzing, Autor der Romanvorlage Der Schwarm, hatte sich mit Produzent und Drehbuch Co-Autor Frank Doelger (Game of Thrones) überworfen und schoß sich in diversen Talkformaten auf das Endprodukt ein. Entgegen allen Vermutungen kritisierte er aber nicht die dargebotene Serienqualität!
Vielmehr lag es diesem Autoren am Herzen mitzuteilen, dass das fertige Serienprodukt nicht mehr allzu viel mit seiner Romanvorlage zu tun hätte. Das war es, was ihn hauptsächlich beschäftigte.
Gute Güte, was war da denn los? Der Buchautor einer fiktionalen Geschichte beschwert sich über die künstlerische Freiheit innerhalb einer fiktionalen filmischen Geschichte?
Das ist ja, als wenn sich der erzkonservative Republikaner Tom Clancy darüber beschwert hätte, dass seine Romanfigur des Jack Ryan in Filmen zu liberal… huch.
Wäre es also möglich, dass weder Schätzing, noch Clancy Regel Nummer 1 bekannt war?
Aber denken wir das erstmal weiter: Wenn Schätzing wirklich glauben würde, dass ein filmisches Produkt sein Buch diskreditieren könnte, dann wäre das ja schon ein wenig so, als würde er seinem eigenen Buch die Überzeugungskraft absprechen. Es sei denn, es gäbe für den Autoren einen anderen Grund, zu just diesem Zeitpunkt unter seinem Stein hervorzukriechen… mal überlegen.
Was mag wohl in einem edlen Schreiberhirn vorgehen, wenn man sich gegen ein Projekt stellt, nachdem man die Verwertungsrechte für sich vergoldet hat? Ich meine, außer Geld?
Genau… noch mehr Geld!
Und tatsächlich: Derartig angeschubst brachte es der Schmöker von 2004 im Jahr 2023 gleich nochmal auf Platz 2 der Spiegel-Bestsellerliste… 19 Jahre nach seinem Erscheinen.
Die Profiteure speziell dieser durch das Dorf getriebenen Sau, waren also das ZDF in Form von hohen Einschaltquoten und der Autor der Vorlage. Nie gab es für die Beteiligten einen besseren Zeitpunkt für eine Kiste 1949er Chateau Petrus.
Alle anderen versanken vor Fremdscham im Boden.
Das eigentliche Armutszeugnis bestand nämlich darin, dass der Zuschauer ein Produkt vorgesetzt bekam, bei dessen Konsum dieser, formal und inhaltlich, merklich seine intellektuelle Leistungsfähigkeit verlor und dümmer aus der Nummer rauskam, als er reingegangen war. Und die vergeudete Lebenszeit würde man ja auch nicht zurückbekommen.
Die Serie Der Schwarm kann dann auch als absoluter Tiefpunkt in der Kommunikation mit dem Zuschauer angesehen werden. Bemerkenswert wäre das deshalb, weil Schätzing Kommunikationswissenschaften studiert hatte – ausgerechnet.
Scheinbar bedeutet das aber nichts, wenn man im Treibsand des eigenen Egos herumrudert.
Denn Regel Nummer 1 lautet für alle immer gleich.
Man kackt nicht dort, wo man isst!
Ende Episode VI