Erinnert Ihr Euch an Michele Soavi? Das ist der Typ, dem die Grütze aus dem Schädel gepresst wurde, nachdem seine Freundin ihre Eingeweide erbrochen hat, nur weil sie den, der am Glockenseil hing, anstarrte. Irgendwann hatte der gute Michele die Schnauze davon, immer wieder dahin gemeuchelt zu werden und begann, selbst das Regiezepter zu schwingen. So wie hier, bei THE SECT, den Dario Argento produzierte und mitverfasste…

Originaltitel: La setta

Regie: Michele Soavi

Drehbuch: Dario Argento, Gianni Romoli, Michele Soavi

Artikel von Christian Jürs

Ja, Michele Soavi gehört eindeutig zu den interessanten, italienischen (Horror-)Filmemachern, der seine Visionen erst zu verwirklichen begann, als die Altmeister langsam müde wurden. Im Jahr 1987 bescherte uns Soavi mit dem äußerst gelungenen Slasher AQUARIUS aka STAGEFRIGHT seinen Einstand. Dem selben Jahr, in dem Dario Argento mit TERROR IN DER OPER sein letztes, großes Meisterwerk ablieferte.

Doch einfache Slasher waren Michele Soavi nicht genug (und dabei war STAGEFRIGHT stilistisch weit mehr als das). Er entwickelte in seinen nächsten Werken einen ganz eigenen, mystisch-bizarren Stil, zu dem nicht jedermann Zugang findet (oder jemals fand).

Ja, THE CHURCH, den man einst als DEMONI 3 ankündigte, ist schon eigen und DELLAMORTE DELLAMORE, die Untotenromanze, wird vom Großteil der Horrorfans geliebt. THE SECT hingegen hatte es da nie so leicht. Auch ich tat mich damals, im Alter von 16 Jahren schwer mit dem Film. Mir fehlte schlicht der Zugang zu Soavis wirrer ROSEMARYS BABY-Variante, so dass ich einer Zweitsichtung bis heute ablehnend gegenüber stand. Doch jetzt, 27 Jahre später, wagte ich erneut einen Blick.

Tatsächlich tat ich mich zunächst auch heute noch schwer mit dem Film und brauchte zwei Anläufe, um ihn durchzuhalten. Dabei habe ich beim zweiten Anlauf versucht, den Ballast, die Story zu verfolgen, einfach abgeworfen und siehe da, der Film ist irgendwie faszinierend, wenn auch ein klein wenig zu lang und in seinen Dialogen teilweise unfreiwillig komisch.

Der Film beginnt im Jahr 1970. Wir hören den Song „A horse with no name“ (aus dem Jahr 1972…lol) und dürfen den Sektenführer Damon (Tomas Arana), der ausschaut wie Jesus aus der Hölle, bei der Arbeit begleiten. Anfangs bläut er den Hippies allerlei Unfug ein, wie zum Beispiel, dass die Rolling Stones mystische, tiefgründige Songs geschrieben haben. Wahrscheinlich hat er daheim auch alle roten Türen schwarz gestrichen. Doch nur kurz darauf opfert er die armen Schweine („Schreie dich besinnungslos!“).

Danach geht’s in die Gegenwart, also ins Jahr 1991. Dort begleiten wir den immer noch wahnsinnig wirkenden Giovanni Lombardo Radice, aka John Morghen, beim schlachten einer jungen Frau. Das Gassi gehen mit ihrem Herz in der Tasche wird ihm jedoch zum Verhängnis, als windige Taschendiebe in der U-Bahn „beherzt“ zugreifen.

Dann kommt der Film zu seiner Hauptfigur, der hübschen Miriam Kreisl (Kelly Curtis). Diese fährt den alten, zauseligen Moebius Kelly (Herbert Lom) an. Sie nimmt den tatterigen Greis mit nach hause (ich hab´s gefunden, ich behalte es), wo er ihr nachts einen Käfer durch die Nase einflößt und dann stirbt. Was Inspector Clouseau nie geschafft hat, gelingt Soavi also nach wenigen Minuten. Ruhe in Frieden, Herbert Lom.

Fortan befindet sich Miriam in einer Welt irgendwo zwischen Realität und Albtraum. Was folgt, ist der, wie erwähnt, etwas wirre Handlungsverlauf, der schwer in Worte zu fassen ist, also lasse ich es einfach. Doch wenn man den Film hier einfach auf sich wirken lässt, bekommt man einen Film voller entfesselter Kamerafahrten, bunter Ausleuchtung und reihenweise Symboliken, die wie ein Rausch anmuten.

Der Film hinterlässt mich also zwiegespalten. Die Inszenierung ist durchdacht, aber auch wirr und teilweise langatmig. Zudem geben so manche Darsteller dem Wort Overacting eine neue Dimension und die Dialoge lassen den Zuschauer teilweise kopfschüttelnd zurück. Dafür ist der Score von Pino Donaggio („Dressed to Kill“) schön atmosphärisch.

Der deutsche Verleiher New Vision wusste seinerseits damals auch nicht viel mit dem Film anzufangen und kürzte ihn um seine satte Viertelstunde. Hierbei wurde erstaunlicherweise keine Zensur betrieben, sondern lediglich gestrafft und somit einige obskure Szenen, wie die, in der Miriam einem weißen Hasen zu einem asiatischen Mädchen folgt, welches panisch die Flucht ergreift, entfernt.

Die Veröffentlichung, die uns just auf den Markt gebracht wurde, ist jedoch ein Traum. Auf BluRay samt Bonus-DVD finden wir die ungekürzte Fassung, die alte deutsche Videofassung, diverse Interviews mit den Beteiligten, Trailer, Bildergalerien – ein schier endloser Fundus für Fans.

Michele Soavi ist ein besonderer Regisseur, der einst auf dem Horrormarkt für Furore sorgte und auch heute noch vielbeschäftigt beim italienischen Fernsehen arbeitet. THE SECT ist zweifelsohne der schwächste seiner Horrorfilme, dennoch für Fans surrealer Italohorrorfilme wärmstens zu empfehlen. Argentos Mitarbeit am Drehbuch und der Produktion spürt man dank wilder Kamerafahrten und greller Ausleuchtung. Wer Atmosphäre vor Spannung setzt, könnte hier richtig sein.

Trailer:

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