Es gibt nur wenige Filme, die im Zuge ihrer Erstveröffentlichung von allen Seiten wurden und erst viele Jahre später wiederentdeckt und zu wegweisenden Meisterwerken erklärt wurden. Eines der prominentesten und auch krassesten Vertreter dieser Gattung ist der britische Psychothriller PEEPING TOM (1960), hierzulande einst als AUGEN DER ANGST erschienen. Das Psychogramm eines voyeuristischen Frauenmörders, verkörpert von Schwiegermutters Liebling Karlheinz Böhm, sorgte seiner Zeit nicht nur für Entrüstung, sondern brachte auch Karrieren zum erliegen. Nun ist das Werk von Regisseur Michael Powell aufwendig restauriert über Studiocanal und Arthaus im Heimkino erschienen. Was daran so besonders ist und ob der Film dem Test der Zeit standhält, erfahrt ihr in unserer Kritik.

Originaltitel: Peeping Tom

Drehbuch: Leo Marks

Regie: Michael Powell

Darsteller: Karlheinz Böhm, Moira Shearer, Anna Massey, Maxine Audley, Brenda Bruce…

Artikel von Christopher Feldmann

Handlung:

Mark Lewis (Karlheinz Böhm) ist zurückhaltend und unscheinbar. Für seinen Chef fotografiert er Damen in recht eindeutigen Posen. Er selbst jedoch versteckt sich am liebsten hinter seiner Kamera. Nachts nimmt er jedoch Frauen auf, kurz bevor er sie umbringt. Eines Tages lernt er Helen (Anna Massey), die Tochter seiner Vermieterin, kennen. Diese jedoch ahnt nichts von dem verstörenden Geheimnis, das Mark in sich trägt.

PEEPING TOM wurde 1960 veröffentlicht und erwies sich als waschechter Skandal. Regisseur und Hauptdarsteller wurden der Premiere wie Aussätzige behandelt, in dem sie vom Publikum völlig ignoriert wurden. Auch die Presse prügelte im Nachgang auf den Film ein als gäbe es keinen Morgen, die Kritiken waren vernichtend, bezeichneten den Thriller als „krank“ und „geschmacklos. Michael Powell fand jahrelang keine Geldgeber für seine Projekte und auch Karlheinz Böhms Schauspielkarriere erfuhr einen gewaltigen Knick. Der in Österreich geborene Mime wurde vor allem als „Kaiser Franz Joseph“ an der Seite von Romy Schneider in der SISSI-Trilogie (1955-1957) bekannt und war somit auf das Saubermann-Image in romantischen Heimatfilmen abonniert. Von diesem versuchte er sich mittels PEEPING TOM freizuspielen, doch zu jener Zeit war es wesentlich schwieriger für das Publikum, die Person von der Kunst zu trennen. Dass der strahlende Leinwandpartner Schneiders auf einmal als frauenmordender Psychopath in Erscheinung trat, ließ auch deutsche Zuschauer vor Entrüstung protestieren.

Als Grund könnte man auch anführen, dass Powells Film seiner Zeit weit voraus war, indem er das Publikum förmlich zwang mit einem Triebtäter zu sympathisieren. „Mark“ ist kein sabbernder Psycho, bei dessen Anblick man schleunigst die Straßenseite wechseln möchte, sondern in erster Linie ein adrett auftretender, höflicher und auch menschlich integrer Typ Mann, in dem eine gestörte Seele beheimatet ist. PEEPING TOM dürfte daher einer der ersten, wenn nicht sogar der erste Film überhaupt sein, der seinen Protagonisten derart ambivalent und reflektiert darstellt, mehr noch als es Alfred Hitchcock mit Anthony Perkins in PSYCHO (1960) tat, der im gleiche Jahr erschien. So empfindet man nicht unbedingt Abscheu, sondern in der Regel Mitleid für den von einem Kindheitstrauma gezeichneten Fotografen, der lange Zeit psychischem Missbrauch ausgesetzt war. Tatsächlich begleitet der Film sogar „Mark“ dabei, wie er anfängt immer mehr positive Gefühle zu entwickeln und sich „Helen“ zu öffnen. Dass das Ganze dabei auf einer tragischen Note endet, ist durchaus konsequent, stilisiert es nicht nur als Thriller, sondern auch als waschechtes Drama. Ein Kunstgriff, den seiner Zeit vermutlich die wenigsten verstanden haben dürften und erst in der Retrospektive Anerkennung und Wertschätzung erfuhr. PEEPING TOM nahm viele Tropes vorweg, die später immer wieder aufgegriffen wurden, u.a. in William Lustigs Exploitation-Reißer MANIAC (1980).

Dass der Film natürlich ein etwas gemächliches Tempo an den Tag legt und sich hier und da kleinere Längen einschleichen, liegt auf der Hand. Man ist eben heutzutage ein durchaus anderes Pacing und mehr spekulatives Kino wie auch krassere Bilder gewöhnt, dennoch bleibt die Geschichte unverändert wirkungsvoll, was zu großen Teilen dem Spiel von Karlheinz Böhm geschuldet ist, der für diese Rolle wohl wie geschaffen war.

Ein weiteres Element, dass PEEPING TOM wegweisend erscheinen lässt, ist mit Sicherheit die Inszenierung. Powell radikalisiert das Thema von Hitchcocks Voyeur-Thriller DAS FENSTER ZUM HOF (1954) dadurch, dass er die Zuschauer dazu zwingt, die Welt aus den Augen (genauer gesagt durch das Kameraobjektiv) des Mörders selbst zu betrachten und mit diesem sogar zu sympathisieren. Dabei bedient sich der Regisseur vor allem des Point-of-View-Shots, also der subjektiven Kamera, die später besonders im italienischen Giallo als auch im US-amerikanischen Slasherfilm zum Einsatz kam, man erinnere sich nur an die Eröffnungsszene aus John Carpenters HALLOWEEN (1978). Auch hier fördert sie effektiv die Spannung, ist aber auch im Grunde eine Metapher für das Kino selbst, in dem bekanntlich die Zuschauer die Voyeure sind und dadurch einen Lustgewinn erfahren, ähnlich wie es „Mark“ bei seinen Aufnahmen tut. Powell hält dem Publikum quasi den Spiegel vor, macht sie zu Mittätern und das dürfte anno 1960 den wenigsten geschmeckt haben. Ebenfalls punktet das Werk durch seine ruhige Atmosphäre und die kräftigen Bilder, auch wenn die Gewalt natürlich fast vollständig im Off stattfindet. Von der FSK bekam der Film damals, unter Schnittauflagen eine Freigabe ab 18 Jahren, was natürlich absoluter Quatsch ist. Mittlerweile ist er ab 12 Jahren freigegeben, in der ungekürzten Fassung natürlich, was auch völlig richtig ist.

Studiocanal und Arthaus haben sich dem Psychothriller hierzulande angenommen und ihn in einer restaurierten Fassung als 4K Ultra-HD und als Blu-ray veröffentlicht. Die Bildqualität ist erste Sahne und lässt vor allem das kräftige Technicolor hervorragend zur Geltung kommen, eine echter Sehgenuss. In Sachen Ton gibt es gerade für Synchronliebhaber zwei Versionen, einmal die Original Kinosynchro, sowie die neu erstellte Synchro aus dem Jahr 2006. In jedem Fall sollte man zur alten Version greifen, in der sich Böhm selbst spricht. Die Collector’s Edition verfügt auch über zahlreiche Extras, u.a. ein Booklet, einen Audiokommentar, Interviews mit u.a. Cutterin und Powell-Ex Thelma Shoonmaker, ein Intro von Regisseur Martin Scorsese und eine Dokumentation mit dem Titel THE EYE OF THE BEHOLDER. Filmfans sollten hier auf jeden Fall zugreifen.

Fazit:

Michael Powells PEEPING TOM – AUGEN DER ANGST (1960) ist nicht völlig reibungslos gealtert aber ein spannender und inszenatorisch wegweisender Mix aus Psychothriller und Drama, der im Kino deutliche Spuren hinterlassen hat und definitiv die Wiederentdeckung wert ist.

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