Die glorreichen Zeiten, in denen Action-Opa Liam Neeson mit auf ihm zugeschnittener Genreware an den Kinokassen punkten konnte, sind mittlerweile passé. Teilweise wandern die in regelmäßigen Abständen erscheinenden Titel direkt in den Stream, lediglich der Thriller RETRIBUTION (2023) versprach in den von Streiks gebeutelten und von Tentpole-Produktionen befreiten Monaten des vergangenen Jahres Zuschauer anzulocken. Doch auch dieser Schuss ging nach hinten los, bei Produktionskosten von rund 20 Millionen US-Dollar, spielte der explosive „Da ist ne‘ Bombe unter dem Autositz“-Reißer nur knapp 18 Millionen wieder ein. Ob es an der Qualität oder auch an der Tatsache lag, dass es sich hier bereits um die vierte(!) Adaption derselben Geschichte handelt, verraten wir euch in unserer Kritik, denn Studiocanal veröffentlicht den Streifen nun auch auf dem Heimkino-Markt.
Originaltitel: Retribution
Drehbuch: Christopher Salmanpour
Regie: Nimród Antal
Darsteller: Liam Neeson, Noma Dumezweni, Lilly Aspel, Jack Champion, Matthew Modine, Embeth Davidtz…
Artikel von Christopher Feldmann
Remakes erfolgreicher oder zumindest qualitativ aufmerksamkeitserregender Stoffe ist bekanntlich nichts Neues aber wenn eine Story innerhalb von nur ein paar Jahren gleich viermal verfilmt wird, ist das schon etwas kurios. Der 2015 erschienene spanische Thriller ANRUFER UNBEKANNT des Regisseurs Danni de la Torre, in dem ein Vater mitsamt Kindern auf dem Rück- und einer Bombe unter dem Vordersitz den Anweisungen eines Unbekannten folgen muss, machte derart die Runde, dass Christian Alvart 2018 mit STEIG. NICHT. AUS. eine Version für den deutschen Markt veröffentlichte. Nur drei Jahre später folge mit HARD HIT (2021) ein südkoreanisches Remake und im vergangenen Jahr dann auch noch eine US-Verfilmung, für die man ausgerechnet Liam Neeson (seit TAKEN (2008) der Mann für das gediegene Grobe) engagierte, der die Rolle mit Sicherheit annahm, weil er 95% seiner Screen-Time im Sitzen ableisten konnte. Aber auch abseits dieser Tatsache, ist RETRIBUTION ein maximal langweiliger und mehr als recht zusammenkonstruierter Thriller, den man sich getrost klemmen kann, selbst wenn man keine der vorherigen Verfilmungen gesehen hat.
Handlung:
Natürlich hatte Matt (Liam Neeson) vergessen, dass er heute die Kinder zur Schule bringen muss. Doch aus dem kleinen Streit mit seiner Frau Heather (Embeth Davidtz) wird schnell ein großer Albtraum. Kaum sitzt der Investmentbanker mit Emily (Lilly Aspell) und Zach (Jack Champion) im Auto, meldet sich ein Unbekannter. Der Anrufer behauptet, in Matts Auto sei eine Bombe versteckt. Wenn auch nur ein Passagier aussteigt, werden alle sterben. Matt erfasst die Panik. Wer ist der Unbekannte? Was will er? Ist die Drohung wahr? Während Matt mit seinen Kids durch ein friedliches Berlin fährt, liegen die Nerven immer mehr blank. Es geht um viele Millionen – und um ein schmutziges Geheimnis.
Es ist ein wenig überraschend, dass RETRIBUTION kein eigenes Setting etabliert oder die Geschichte in die Vereinigten Staaten verlagert, sondern sich recht offensichtlich an die deutschsprachige Auflage mit Wotan Wilke Möhring anlehnt. Nicht nur, dass die Handlung erneut in Berlin verortet ist, auch Emily Kusche ist wieder zu sehen, wenn auch nur in einem Gastauftritt. Das wirft ungeachtet der Tatsache, dass es sich hier um die bereits vierte Verfilmung der zu Grunde liegenden Geschichte handelt, nur noch mehr die Frage auf, warum es diese überhaupt gebraucht hat.
Im Vergleich zu seinen „Vorgängern“ zieht RETRIBUTION aber ohnehin den Kürzeren, denn alleine das Drehbuch ist ein einziges Ärgernis. Nicht nur, dass Protagonist „Matt Turner“ so gar keine Ecken und Kanten vorzuweisen hat (sein Job als skrupelloser Hedgefonds-Manager trägt nichts zur Handlung bei und wird auch zu keiner Zeit hinterfragt), auch das totgerittene Klischee vom Vater, der aufgrund seiner Arbeit keine Zeit für seine Kinder hat, wird einmal mehr aus der Mottenkiste geholt. Liam Neeson, der schon seit Jahren eigentlich zu alt für actionbetonte Rollen ist, erweist sich auch hier als absolute Fehlbesetzung und das nicht nur, weil man ihm zu keiner Zeit abnimmt, dass er Vater zweier noch schulpflichtiger Kinder ist. Generell reiht sich seine Performance in jene aus seinen letzten Filmen wie etwa BLACKLIGHT (2022) ein. Lustlos, müde und auch ein wenig bitter, Neeson wird nach wie vor für zweitklassige Actionreißer vor die Kamera gezerrt, die immer weniger Interesse hervorrufen und meist direkt zu Amazon Prime Video wandern, lediglich der kürzlich erschienene IN THE LAND OF SAINTS AND SINNERS (2023) ist als Lichtblick zu bezeichnen.
Aber Neeson oder seine blassen Co-Stars, die allesamt vollkommen austauschbar bleiben, sind nicht das größte Problem des Films. Das Drehbuch wirkt mühselig zusammengeschustert, die Logik hat zudem Betriebsurlaub. Hinterfragen sollte man RETRIBUTION nicht, es könnte Kopfschmerzen hervorrufen, vor allem weil man dem Ganzen ein neues Ende hinzugefügt hat, inklusive einer anderen Auflösung, die allerdings derart banal ist, dass der Reveal der ersten drei Verfilmungen, der auch seine Macken hat, wie ein meisterlicher Twist daherkommt. Wie schon bei der filmischen Bankrotterklärung THE EXPENDABLES 4 (2023) reicht ein Blick auf die Besetzungsliste, um zu erraten, wer am Ende die Fäden zieht.
Besonders für Berliner dürfte der Film ein waschechter Graus sein, denn geographisch stimmt hier schon mal gar nichts. Neeson fährt mit seinen Bälgern auf der Rückbank an einer Ecke Berlins um die Kurve und kommt gefühlt auf der anderen Seite der Stadt wieder heraus. Für ein amerikanisches Publikum wahrscheinlich zu verschmerzen, für Deutsche fast schon trinkspielwürdig.
Natürlich hatten auch die anderen Adaptionen ihre Macken und auch Alvarts Version ist nicht frei von Logiklöchern, die man auch mit der größten Suspension of Disbelief nicht einfach so hinnehmen konnte, jedoch punktete diese wie auch die südkoreanische Version vor allem mit Tempo und ordentlichen Actionmomenten. Diese fallen in RETRIBUTION relativ mager aus. Zwar gibt es die ein oder andere Explosion, ansonsten ist die ganze Nummer aber vor allem eines: Sterbenslangweilig. Inszenatorisch findet Regisseur Nimród Antal, der unter der Ägide von Robert Rodriguez bereits PREDATORS (2010) drehen durfte, auch keinen neuen Kniff, sondern macht augenscheinlich Dienst nach Vorschrift, der daraus bestand, möglichst viele Berlin-Shots in dem Film unterzubringen.
Studiocanal veröffentlichte RETRIBUTION bereits digital, nun folgt auch die physische Auswertung und neben Blu-ray und DVD erscheint zudem eine 4K-Fassung. Über Bild- und Tonqualität lässt sich nicht meckern.
Fazit:
RETRIBUTION (2023) ist allerhöchstens Stangenware, der nur hartgesottene Liam-Neeson-Fans etwas abgewinnen werden, vorausgesetzt sie haben die bereits existierenden Versionen der Geschichte nicht gesehen. Freunde rasanter Thriller bekommen hier lediglich Kost auf dem Niveau eines beliebigen Vorabendkrimis in den Öffentlich-Rechtlichen.
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