Das Positive an diesem Film ist: der Verzicht auf Spannung! Das hört sich bescheuert an, meine ich aber so. David Lynch drehte diesen für ihn völlig untypischen Film frei von sämtlicher Bedrohung. Es gibt keinen Spannungsbogen, dafür aber eine zarte Feel-Good-Betrachtung über das Alter – eben ein Film über das menschliche Dasein. Und das ist fantastisch! Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich diesen Film überhaupt jemals gesehen habe. Dabei stand er jahrelang an der Filmtipp-Wand unserer Videothek, die 2015 für immer ihre Türen schloss. Vielleicht war ich damals noch nicht so weit, David Lynch auch einen Film über einen alten Mann auf seinem Rasenmäher zuzugestehen, ohne das dabei Menschen getötet werden. Statt Düsternis gibt es die spätsommerlichen, orange-braunen Farben der Erntezeit und Richard Farnsworth auf einem John Deere Rasenmäher von 1966. Und wer träumte nicht schon einmal davon, mit so einem Rasenmäher durch die Lande zu fahren? ARTHAUS / STUDIOCANAL macht es möglich und brachte den Film nun 4K Remastered heraus.
Originaltitel: The Straight Story
Regie: David Lynch
Darsteller: Richard Farnsworth, Sissy Spacek, Jane Galloway Heitz, Joseph A. Carpenter, Harry Dean Stanton, Everet McGill, Bill McCallum, Barbara E. Robertson
Artikel von Kai Kinnert
Der 73-jährige Alvin Straight (Richard Farnsworth) aus Iowa begibt sich auf eine unglaubliche Reise. Als er hört, dass sein Bruder Lyle (Harry Dean Stanton), mit dem er seit einem Streit vor zehn Jahren keinen Kontakt mehr hatte, schwer krank ist, beschließt Alvin sich mit ihm auszusöhnen. Da er weder einen Führerschein noch seine volle Sehstärke besitzt und sich von niemandem fahren lassen möchte, fährt der sture Rentner die 400 Meilen bis nach Wisconsin kurzerhand selbst – auf einem motorisierten Rasenmäher mit selbstgebautem Anhänger.
David Lynch hat einige gute Filme gedreht, dieser jedoch zählt für mich zur absoluten Oberliga im Portfolio Lynchs. Fange ich also gleich mal mit meinem Fazit zum Film an, was soll ich das erst so lange durch den Text schieben: Wer diesen Film nicht kennt und Lust auf ein angenehm erzähltes Feel-Good-Movie ohne Blut und ohne jegliche Anleihen an irgendein künstlich aufgebautes Drama hat, sollte hier zuschlagen. Fans dieses Films wissen das eh, wende ich mich also kurz an die drei Leute, die von diesem Streifen noch nichts gehört haben.
Sträflicher weise habe ich wahrscheinlich diesen Film vorher selber nie gesehen, ich suche noch nach Ausreden, durfte dies aber für diese Rezension nachholen. Ich habe ihn mir dann auch gleich dreimal angesehen, natürlich an verschiedenen Tagen, aber dennoch dicht hintereinander. Und er funktioniert selbst dann noch gut! Warum? Zwei Gründe.
Der eine Grund ist Richard Farnsworth. Meine Güte, was ist der Mann feinfühlig und vielschichtig in seinem Schauspiel! So viele kleine Details und Bewegungen, so zart, lebensecht und anrührend, das man sofort in die Geschichte gezogen wird. Der Typ ist präsent, er nimmt den Zuschauer mit, man bleibt bei ihm und wünscht sich, das sein aberwitziger Plan, 400 Meilen auf einem Rasenmäher zurückzulegen, gelingt. Richard Farnsworth IST der Film.
Der andere Grund ist David Lynch, der sich spürbar angerührt von dem Drehbuch fühlte und daraus eine einfache und schöne Geschichte über das menschliche Dasein machte. Der Film ist Aktion und Reaktion und man fällt, dank der Inszenierung und Richard Farnsworth, butterweich in diese Welt hinein, man spürt die Figuren und man spürt die Landschaft durch die sich Alvin Straight bewegt. Lynch drehte diesen Film chronologisch, also genau so, wie man den Film auch sieht, und konnte so einen allumfassend fliesenden Film erstellen, der dank seines minimalistischen Aufwands nicht einen Fehler hat. Richard Farnsworth spielt ungeschminkt (sogar sein Bartwuchs ist echt) und fährt mit 4 km/h die Landstraße herunter, verfolgt vom kleinen Filmteam, das so auf alle Veränderungen während der Dreharbeiten reagieren konnte.
Alvin Straight begegnet auf seinem Road Trip verschiedenen Menschen, die dem Film Momente der Weisheit, Tiefe und Aufrichtigkeit geben. Straight unterhält sich mit diesen Menschen, voller Akzeptanz, voller Freundlichkeit und ohne das es dabei zu irgendeiner Künstlichkeit oder gar einer Küchenpsychologie kommt. Die Begegnungen sind anrührend, wie bei dem Kriegsveteran, ehrlich, wie bei der Ausreißerin oder ratlos-amüsiert, wie bei der Frau mit dem Reh. Die Szene mit dem toten Reh auf der Straße ist ein kleines Highlight. Barbara E. Robertson spielt die Frau, die jeden Tag 30 Meilen zur Arbeit fahren muss und dabei das Reh überfahren hatte. Mitten im Flachland. Doch um diese originelle Szene nicht zu spoilern, breche ich hier lieber ab.
The Straight Story – Eine wahre Geschichte ist ein zeitlos schöner Film, im wahrsten Sinne des Wortes. Fantastisch vom Ensemble gespielt, mit ruhiger Hand inszeniert und bestens bebildert, nimmt der Film seinen Zuschauer mit auf den John Deere Rasenmäher und lässt uns Teilhaben am Leben und Fühlen des Alvin Straights. Wer kleine Geschichten mag und diese Kleinod an Road Movie noch nicht kennt, sollte hier unbedingt zuschlagen.
Das Bild der vorliegenden Blu-ray ist sauber und satt, der Ton ist gut. Als Extras gibt es ein Interview mit David Lynch während der Dreharbeiten, Featurette B-Roll, 4K Trailer und Trailer.
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