Als hätten sie es geahnt: fast zeitgleich mit seinem doppelten Oscargewinn für “Oppenheimer” ehrt PANDASTORM PICTURES Christopher Nolan mit einem limitierten und nummerierten Mediabook seines Debütfilms “Following”, in schöner Aufmachung mit Blu-Ray und DVD samt umfangreichen Bonusmaterial sowie einem Booklet mit dem Essay “Ekstasen der Zeitlichkeit” von Marcus Stiglegger. Als absoluter Nolan-Fan für mich eine hervorragende Gelegenheit, nach seinem neuesten Film endlich auch seinen ältesten Film zu sehen – also quasi den Anfang zuletzt – was könnte passender sein?
Alternativer dt. Titel: Following – eine blutige Falle
Regie: Christopher Nolan
Darsteller: Jeremy Theobald, Alex Haw, Lucy Russell, John Nolan
Artikel von Anna Sola
Würde man nachts zufällig in Following reinzappen, könnte man meinen, es handele sich hier entweder um einen unbekannten Hitchcock oder ein 80er Jahre Musikvideo – es ist aber der erste Film von Christopher Nolan, den er über den Zeitraum von einem Jahr mithilfe von seiner jetzigen Frau und Produzentin Emma Thomas und gemeinsamen Freunden komplett unabhängig für 6.000$ realisiert hat, in Schwarzweiß und auf 16mm Film. Premiere hatte Following 1998 auf dem San Francisco Filmfestival, nur zwei Jahre bevor Memento erschien, der Film der Nolan von jetzt auf gleich zum meist diskutierten neuen Regisseur machte. Zwischen den beiden Filmen liegen auf den ersten Blick Welten, was sich natürlich durch die Diskrepanz im Budget und der Professionalität der Mitwirkenden bei Memento erklären lässt. Nolan hat bei Following nicht nur das Drehbuch, sondern auch Kamera und Schnitt verantwortet, bei Memento ist bereits sein langjähriger Kameramann Wally Pfister an Bord und die Darsteller sind erstklassig. Trotzdem oder gerade deswegen ist Following aber für Nolan-Fans ein Muss, denn wer genau hinschaut, entdeckt schon im Debütfilm viele Elemente, die sich durch sein gesamtes späteres Werk ziehen, und diese zu entdecken macht richtig Spaß.
Ein arbeitsloser Schriftsteller (Jeremy Theobald) beginnt aus Langeweile, fremden Menschen auf der Straße zu folgen und sie zu beobachten. Dabei gibt er sich selbst Regeln vor: “Folge niemals zweimal derselben Person” ist die erste und wichtigste Regel, die er dennoch bricht, als er wiederholt einem Mann (Alex Haw) folgt, der ihn prompt ertappt und zur Rede stellt. Es stellt sich heraus, dass der Mann Einbrecher ist. Dabei ist er offenbar nur wenig an Wertgegenständen interessiert, vielmehr versucht er, in die Leben der Bewohner einzutauchen, sie zu verändern, indem er beispielsweise mithilfe durch ihn platzierter Unterwäsche einen Streit provoziert, “um sie daran zu erinnern, was sie am Leben haben”. “Der junge Mann” (so sein Rollenname) ist von dieser Vorgehensweise fasziniert und begleitet von nun an “Cobb”, so der Name seiner Bekanntschaft, bei diversen Einbrüchen. Alles im Namen der Recherche für sein Buch, natürlich. Von den Fotos und anderen Gegenständen in der Wohnung einer Frau fühlt er sich so angezogen, dass er ihr tags darauffolgt und sie in einer Bar anspricht. Er beginnt ein Verhältnis mit “der Blondine” (Lucy Russell), wie sie in der Besetzungsliste nur genannt wird, und mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden, denn das würde zu viel der Handlung spoilern…
Inspiriert zu der Geschichte wurde Christopher Nolan durch einen Einbruch bei sich zuhause – er fragte sich, was wohl in den Köpfen der Einbrecher vorging, als sie seine Sachen durchwühlten. Das Drehbuch war schnell geschrieben und dann entschloss sich Nolan, die lineare Erzählstruktur über den Haufen zu werfen und die Szenen nicht chronologisch anzuordnen; etwas, das heute als eins seiner Markenzeichen gilt. Wer nicht den Überblick verlieren will, sollte sich an der Haarlänge der Hauptfigur orientieren. Alternativ gibt es als Teil des Bonusmaterials auch eine chronologische Schnittfassung des Films, die allerdings deutlich macht, wie sehr Following von seiner non-linearen Erzählstruktur profitiert. Auch der “Exposition-Dump” (hier in Form eines Polizei-Verhörs, einem klassischen Stilelement des Noirs) kommt in den meisten Nolan-Filmen vor, um die Zuschauer in die Handlung reinzuholen. Bedeutungsschwere Gegenstände gehören ebenso ins Nolan-Repertoire wie die Femme Fatale und die Thematisierung von Identität und der Verlust derselben. Nolan-Fans wird auch der Name des Diebes, “Cobb”, auffallen – so heißt Leonardo DiCaprios Figur in Inception, und auch diese Figur dringt in die Leben anderer Menschen ein und versucht, ihr Unterbewusstsein zu verändern, wenn auch auf einem ganz anderen Level. An der Wohnungstür des jungen Mannes klebt ein Batman-Aufkleber, wenn das kein Omen ist…
Following ist kein Meisterwerk aber ein solider Noir-Thriller, der in seinen besten Sequenzen an Hitchcock erinnert. Die Schauspieler, allen voran Jeremy Theobald und Lucy Russell, sind überzeugend, aber es überrascht einen nicht wirklich, dass Alex Haw mittlerweile als Architekt arbeitet. Die kontrastreichen (obwohl zeitweise körnig-flimmernden) schwarz-weiß Bilder sind atmosphärisch und Nolan schafft es, an bekannten Londoner Locations zu drehen, ohne dass man sie als Touristenattraktion wahrnimmt. Außerdem verleiht er seinen Bildern etwas Zeitloses, wenn da nicht die CDs wären. Absolut sehenswert ist der Film vor allem für Menschen, die Christopher Nolans Werk mögen und sich hier auf Spurensuche nach seiner “Origin-Story” begeben wollen, denn die Saatkörner, aus denen sich der Nolan-Stil entwickelt hat, sind alle hier zu finden.
Allen, die selber schon einen “No Budget” Film gedreht haben oder drehen möchten, seien die Interviews mit Christopher Nolan und seiner Produzentin Emma Thomas im Bonusmaterial sehr empfohlen. Bei allem britischen Understatement merkt man ihm seine Leidenschaft fürs Filmedrehen und den kollaborativen Prozess dahinter an, bei dem er regelmäßig mit denselben Menschen zusammenarbeitet. Um den Film realisieren zu können, lieh er sich Equipment bei der Film Society des University College London und rekrutierte Schauspieler aus der Theatergruppe der Universität. Alle freiwillig Mitwirkenden verpflichteten sich, jeden Samstag zur Verfügung zu stehen, und so entstand über den Zeitraum eines Jahres jede Woche ca. 15 Minuten Material. Gedreht wurde u.a. in der Wohnung von Nolans Eltern, in der des Hauptdarstellers und der Kantine eines Bekannten und Nolans Onkel und Emma Thomas spielen kleinere Rollen. Nachdem Nolan selbst einen Rohschnitt angefertigt hatte, wurde das 16mm Material digitalisiert und nachts in der Postproduktion eines Freundes feingeschnitten, bevor er den Film in den USA auf Festivals zum ersten Mal zeigen konnte. Heutzutage ist es dank Digitalisierung und frei verfügbaren Schnittprogrammen natürlich sehr viel einfacher, einen No-Budget-Film zu drehen, aber das nur in Nolans Erzählung existierende “Making-of” ist trotzdem inspirierend.
Following ist zugleich Ursprung und Schlüssel zum späteren Werk Christopher Nolans, eine Spurensuche, die sich lohnt.
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