Auch mit 86 Lenzen scheint der zweifache Oscarpreisträger Anthony Hopkins nicht müde zu werden, Filme mit seiner unverwechselbaren Präsenz zu adeln. Auch ONE LIFE (2023) schien eine sichere Bank für den walisischen Schauspieler zu sein, erzählt der Film doch die wahre Geschichte eines Mannes, der kurz vor dem Einmarsch der Nationalsozialisten in die damalige Tschechoslowakei 669 jüdische Kinder vor dem Holocaust rettete, indem er sie per Zug außer Landes schaffte. Eine bewegende Heldentat, die Jahrzehnte später für einen der emotionalsten Momente der britischen TV-Geschichte sorgen sollte, der auch hier das Herzstück bildet. SquareOne Entertainment und Leonine Studios haben das biographische Drama kürzlich im Heimkino veröffentlicht. Ob es sich hierbei um einen zweiten SCHINDLERS LISTE (1993) handelt, erfahrt ihr in unserer Kritik.

Originaltitel: One Life

Drehbuch: Lucinda Coxon, Nick Drake

Regie: James Hawes

Darsteller: Anthony Hopkins, Lena Olin, Johnny Flynn, Helena Bonham Carter, Jonathan Pryce…

Artikel von Christopher Feldmann

Handlung:

Der junge Londoner Börsenmakler Nicholas Winton (Johnny Flynn) erfährt über einen Freund von den entsetzlichen Zuständen in den tschechischen Flüchtlingslagern. Kurzentschlossen fährt er nach Prag und erlebt aus erster Hand, wie jüdische Familien auf der Flucht vor Verfolgung ohne Obdach und Essen ihrem Schicksal ausgeliefert sind. Bestürzt entwickelt er einen waghalsigen Plan. Und so beginnt mit Unterstützung seiner tatkräftigen Mutter (Helena Bonham Carter) in London und einer Hilfsorganisation vor Ort eine beispiellose Rettungsaktion – immer bedroht von der nahenden Invasion der Faschisten. Wie viele Kinder können sie retten, bevor die Grenzen geschlossen werden? London 1988. Noch Jahrzehnte später wird Winton (Anthony Hopkins) vom Schicksal der Kinder verfolgt, die er nicht retten konnte. Erst als die BBC-Fernsehshow „That’s Life“ die überlebenden „Winton-Kinder“ ausfindig macht und diese unglaubliche Geschichte ans Licht bringt, vermag er sich seinem Kummer und den Schuldgefühlen stellen, die er so lange mit sich herumgetragen hat

Bereits im Vorfeld bekam ONE LIFE einige Vorschusslorbeeren und nicht wenige prophezeiten Anthony Hopkins den nächsten Goldjungen für die beste schauspielerische Leistung, nur drei Jahre nach dem bewegenden Demenzdrama THE FATHER (2020). Ganz so preisträchtig fiel das Ergebnis allerdings nicht aus, tatsächlich wurde der auf wahren Begebenheiten basierende Film kaum berücksichtigt. Das hat weniger etwas mit dem Hauptdarsteller zu tun, sondern viel mehr mit der Art der Erzählung.

Auf dem Papier verspricht ONE LIFE nämlich ein echter Paukenschlag zu werden. Die Geschichte um einen britischen Aktienhändler, der es sich zur Aufgabe macht, hunderte jüdische Kinder vor dem sicheren Tod zu retten und dabei alle Heben in Bewegung setzt, ist symbolisch für Mut und Menschenliebe, dient aber lediglich als Rahmen für das wahre Schmuckstück des Films, nämlich die berühmte Aufzeichnung der Sendung „That’s Life“ im Jahr 1988, in der Nicholas Winton im Studiopublikum saß und vor laufender Kamera mit seinen Heldentaten konfrontiert wurde und über die er immer geschwiegen hatte, belasteten ihn doch die nicht wenigen Leben, die er in jungen Jahren nicht retten konnte. Tatsächlich hat es Regisseur James Hawes geschafft, dieses Stück Fernsehgeschichte auf seinen Film zu übertragen, was keinen Zuschauer kalt lassen dürfte. Bei entsprechender Szene handelt es sich um einen echten Tränenzieher, der nur von einer weiteren übertroffen wird, die ebenfalls im Film enthalten ist, denn Winton war eine Woche später noch einmal bei „That’s Life“ zu Gast. Diese Szenen besitzen die nötige emotionale Wucht und bleiben, auch dank der einfühlsamen Performance von Anthony Hopkins, im Gedächtnis.

Anders sieht es beim Rest der Geschichte aus, die so einige Längen aufweist. Erzählt wird ONE LIFE nämlich auf zwei Zeitebenen, von denen jene mit Anthony Hopkins als gealterter Nicholas Winton genau genommen nur den Rahmen bildet. Der Hauptteil spielt im Jahr 1938, in dem Johnny Flynn die Rolle verkörpert. Der macht auch einen tadellosen Job, allerdings fehlt es dem Ganzen an Tempo und Dynamik, profitierte die geschilderte Rettungsaktion doch eher vom organisatorischen Talent Wintons und wenn man als Zuschauer jemandem dabei zusieht, wie er Akten wälzt, Listen checkt und telefoniert, dann ist das filmisch wenig aufregend. So ähnlich sieht es dann auch mit vielen Momenten im Jahr 1988 aus, in denen Hopkins meist allein dabei zu sehen ist wie er Akten sortiert und sein Büro ausmistet. Tatsächlich fühlen sich diese Momente streckenweise wie aufgeblähtes Füllmaterial an, um die Screentime des zugkräftigen Stars künstlich zu erhöhen. Hopkins als vermeintlicher Leading-Man verkauft sich eben besser als Johnny Flynn. Dagegen sind die Momente mit beispielsweise Helena Bonham Carter, die als Wintons Mutter in Erscheinung tritt, wesentlich unterhaltsamer, denn als resolute Dame, die den Behörden ordentlich einheizt, bekommt sie die besten Szenen, während Flynn und Hopkins deutlich weniger an die Hand bekommen. So bleibt ein Film, der den Zuschauer über weite Strecken größtenteils kalt lässt, auch wenn der emotionale Punch gen Ende natürlich eine Klasse für sich ist aber da könnte man natürlich auch einfach YouTube anwerfen und sich die Originalaufnahmen ansehen.

Inszenatorisch geht Hawes entsprechend gediegen zu Werke und verzichtet auf eine pompöse, von Sperenzchen durchzogene Bebilderung. Lediglich der unaufgeregte aber effektive Filmmusik von Volker Bertelmann, der für seine Musik zu IM WESTEN NICHTS NEUES (2022) den Oscar gewann.

SquareOne Entertainment veröffentlichte den Film im Vertrieb von Leonine Studios sowohl digital, als auch auf Scheibe. Bild- und Tonqualität sind sehr gut, als Extra ist der Trailer enthalten.

Fazit:

Auch wenn sich der Vergleich aufdrängt, mit SCHINDLERS LISTE (1993) kann ONE LIFE (2023) bei Weitem nicht mithalten. Dafür lässt die Geschichte um die Heldentaten Nicholas Wintons den Zuschauer zu kalt, vor allem weil das Drehbuch wenig einprägsames Material bietet, mit dem die Schauspieler wirklich berühren können. Einzig der historische TV-Moment knallt rein, auch weil Anthony Hopkins mit 86 Jahren immer noch zu den Besten seiner Zunft gehört.

Amazon Partner Links:

Blu-ray

DVD

Prime Video

Christophers Filmtagebuch bei Letterboxd – Your Life in Film

Zurück zur Startseite