Italien ist mein Land! Das Essen, die Historie, die Atmosphäre – und die Filme, daran kann sich mein Herz immer wieder neu erfreuen. Bei jeder Urlaubsreise fährt dann auch die Hoffnung mit, irgendwelche DVDs kaufen zu können, idealerweise Filme, die man bei uns so nicht bekommt. Natürlich könnte ich mir die Filme auch als Import bei Amazon bestellen, aber dann muss ich Porto bezahlen und womöglich einige Tage auf die Scheiben warten, also gebe ich lieber 1700,– Euro für den Urlaub aus und kaufe mir die Filme vor Ort. Doch leider war es mir bislang vergönnt gewesen, überhaupt irgendwelche DVDs im italienischen Handel zu finden. Selbst größere Elektromärkte konnten nur mit ein paar Spielen für die Playstation und Xbox auf physischen Medien aufwarten. Der Datenträger ist tot, es lebe MP4 und damit die Rückkehr zur massenhaften Speicherung des ehemals kostenpflichtigen Unterhaltungsprogramms. Doch in Bologna kam es anders! Ein weiterer Beitrag aus unserem Sommercamp-Special.

Ein Reise-Special von Kai Kinnert

Schon der erste Tag in Bologna gab ein gutes Omen ab. Es war ein Mittwoch, 15 Uhr, und wir waren auf den Weg in die Stadt, als wir am Piazza Agosto an der Via dell Independenza auf einen kleinen Flohmarkt trafen. Nur 11 Stände, aber einer davon hatte Filmplakate! Ich war wie elektrisiert und schwitzte gleich mehr als sonst. Ich zeigte aufgeregt auf die Plakate und stammelte dem Verkäufer die wenigen Worte entgegen, die ich auf Italienisch konnte: „Western all´italiana??“

Der geschäftstüchtige Händler lächelte sofort und entblätterte sein Programm an Italo Western, hauptsächlich Filme von Sergio Leone, dafür aber in schönen Motiven. Natürlich waren es Nachdrucke und mit Sicherheit keine lizenzierten. Aber das war mir egal und so kaufte ich Für ein paar Dollar mehr, Zwei glorreiche Halunken und Die Todesmelodie für jeweils 10,– Euro. Der Händler hatte noch einige hübsche Motive mehr, aber dann wäre ich, gerade mal drei Stunden in Bologna, schon den ersten Hunderter losgeworden. Außerdem hatte mir Google schon verraten, dass es hier nicht nur das größte Filmarchiv des Landes gibt und dort Filme für die weltweite Auswertung restauriert werden, sondern das auch noch eine Videothek am Stadtrand existiert. Doch die lag leider außerhalb unseres geplanten Erkundungsradius für Bologna, einer Kulturstadt mit vielen Studenten und einigen Programmkinos, die man gleich hinter der nächsten Ecke entdecken konnte. Kleine Kinos aus den 1960ern mit jeweils vier Sälen, eingelassen zwischen den Restaurants und Wohnhäusern in den Nebenstraßen. Was für eine Atmosphäre!

Kino in Bologna

Als wir den Stadtkern am Neptunbrunnen erreichten, machten wir erst die obligatorische Stadtrundfahrt und landeten danach in den engen Seitengassen mit den vielen kleinen Läden und Cafés, in denen es ständig nach Essen duftet. Schinken, Salami, Pasta und Antipasti aller Orten. Touristisch überlaufen, aber dennoch bezahlbar und ohne Beschiss am Kunden, kann man überall in Bologna herzhaft und gut essen. Und zwar so herzhaft, dass es Veganer in Bologna richtig schwer haben. Kein Witz. Bologna heißt übersetzt „Die Fette“ – und so ist es auch. Wer auf Cholesterin achten muss, isst in Bologna gefährlich. Aber eben auch verdammt lecker und mit Sicherheit nicht vegan. Meine Freundin und ich redeten also gerade darüber, wo wir am Abend essen werden, als wir die Via degli Orefici erreichen und plötzlich vor einem Geschäft stehen: Librerie coop Ambasciatorie. Ein Buchladen wie Thalia, nur mit Gastronomie und auf mehreren Etagen. Aber nicht nur das, denn es gab auch DVDs! In den Regalen und Drehständern thematisch sortiert, konnte ich plötzlich überall Titel entdecken. Viele Klassiker Hollywoods, ganz normale Filme waren dabei, aber auch etliche Argentos und alles von Sergio Leone. Die meisten Filme gab es nur auf Italienisch, doch einige Titel hatten auch eine englische Tonspur. 

Ich durchsuchte also die Reihen nach weiteren Titeln und landete bei einem Drehständer mit der Aufschrift „Italienische Filme der 50er 60er und 70er“. Mir ging die Pumpe, meine Hände schwitzten und meine Knie schmerzten, denn ich musste mich hinknien, um die Titel in den unteren Reihen lesen zu können. Lucio Fulci war mit sechs Filmen vertreten, da hätte ich gerne was gekauft, doch die DVDs waren nur auf Italienisch. Aber da gab es noch Fernando Di Leo und Umberto Lenzi – mit englischer Tonspur! Ich war scheinbar auf eine kleine Goldader gestoßen und strandete gleich in der Überforderung. Was soll ich kaufen, gab es den Titel schon auf Deutsch?

Der Internetempfang war im Laden scheiße und so gestaltete sich die Recherche vor Ort als schwierig. Daher kaufte ich mir an dem Tag nur einen Film: Il Poliziotto é Marcio (1974) von Fernando Di Leo. Herausgebracht für 12,99 von Rarovideo mit restauriertem Bild und einigen Extras, dazu ein Booklet. Lustig wurde es dann an der Kasse.

Der Verkäufer merkte natürlich sofort, dass ich nur ein blöder Tourist bin, der sich aus nicht nachvollziehbaren Gründen einen alten Polizeifilm kauft und dafür bestraft gehört. Der Typ scannte den Preis ein und ließ den Film herzhaft auf den Tresen klatschen. „Hier bitte, du Spinner!“ mag er gedacht haben, ich weiß es nicht, er blickte immer an mir vorbei. Zwei Tage später stand ich wieder vor ihm, diesmal mit zwei Filmen. Eigentlich wollte ich es bei einem Film belassen, doch als ich erneut am Drehständer kniete, entschied ich mich für Diamanti Sporchi Di Sangue (1978) von Fernando Di Leo und Milano Rovente (1973) von Umberto Lenzi, ein echter Treffer, ebenfalls restauriert von Rarovideo. Mir fiel leider erst in Deutschland auf, dass Diamanti Sporchi Di Sangue erst kürzlich als Die Diamantenpuppe von Leonine herausgebracht wurde.

Als ich die zwei Filme an der Kasse bezahlen wollte, blickte mich der Verkäufer noch immer nicht an, obwohl ich an seinem herablassenden Stirnrunzeln ein Wiedererkennen bemerkte. Leichte Scham stieg in mir hoch. Darf man als Tourist keine italienischen Filme kaufen? Mache ich etwas falsch? Doch steter Tropfen höhlt den Stein und so ging ich am letzten Urlaubstag wieder in die Buchhandlung. Drei Filme hatte ich schon – einer geht da noch. Doch diesmal hatte ich mein The Good, The Bad and The Ugly T-Shirt an und wählte zum Abschluss den „anspruchsvollen Film“, ein Stück Justizgeschichte, die bis heute etliche Menschen beschäftigt: Sacco E Vanzetti (1971) von Guiliano Montaldo, restauriert mit Booklet in der 2-DVD-Edition für 10,– Euro. Der Gang zur Kasse war mir schon fast unangenehm, denn ich sah, dass der Laden scheinbar nur diesen einen Verkäufer als Kassierer beschäftigte. Am Tresen angekommen, sah der Typ auf und sein Blick fiel direkt auf mein T-Shirt, eine Augenbraue hob sich, der Mundwinkel zuckte, dann ging sein Blick auf die DVD und als er den Titel las, erhellte sich seine Miene zu einem breiten Lächeln. Endlich! Endlich wurde ich akzeptiert! Danke Sacco, danke Vanzetti! Am letzten Tag akzeptierte mich ein italienischer Verkäufer als vollwertigen Kunden und Filmsammler! Er murmelte lächelnd ein paar unverständliche Worte und ich verließ beschwingt und federnden Schrittes den Laden. Es fühlt sich so gut an, akzeptiert zu werden!

Zurück in Deutschland machte ich mich dann auch gleich an die Sichtung meiner neuen Schätze. Den Anfang machte der Polizieso Il Poliziotto é Marcio, der in Deutschland nicht erschien. Fernando Di Leo drehte den Film auf seine gewohnt nüchterne Art und Weise und verzichtete dabei auf große Kinobilder. Die ganze Nummer wurde auf die italienische Art und Weise grob gehalten, ohne dabei das Konventionelle zu verlassen. Formal wie inhaltlich wurde von Fernando Di Leo schon besser gearbeitet. Der beste Moment des Films sind zwei Autoverfolgungsjagden, wobei die erste Jagd am originellsten inszeniert wurde. Die Kamera klemmt auf Höhe der Stoßstange eines Alfa Romeos und jagt durch den echten Straßenverkehr Mailands dem Verfolgtem hinterher. Das ist nun nicht besonders originell, wohl aber effektiv und dank des Charmes der 1970er unbedingt sehenswert. Solche Szenen machen Spaß!

Diamanti Sporchi Di Sangue ist ein Krimidrama, welches ich mir wegen der Regie und der Besetzung gekauft hatte. Auf Englisch kam ich in den Dialogen, von denen es dann doch etliche gab, nicht ganz so mit und auch in der Action ist der Film eher zurückhaltend inszeniert worden. Den Film muss ich mir noch einmal in der deutschen Fassung ansehen, vielleicht gewinnt der Streifen dann mehr an Format. So war es am Ende ein eher mäßiger Film. Da hätte ich mir doch lieber einen Lucio Fulci holen sollen, auch wenn die alle keinen englischen Ton hatten. 10,– Euro für ein restaurierten Don´t Torture a Duckling ist eigentlich unschlagbar, auch ohne englischen Ton, aber ich habe ihn stehen lassen. Naja, dann eben im nächsten Urlaub. Fuck.

Eine Masse an Dialogen gab es, erwartungsgemäß, dann auch bei Sacco E Vanzetti. Hier wurde viel und schnell gesprochen, da hatte der etwas träge Übersetzer in meinen Ohren nicht so gut funktioniert. Aber der Film ist gut! Mag ich auch nur 25% der Dialoge verstanden haben, erschließt sich das Drama um Sacco und Vanzetti schon durch das Zusehen, etwas Hintergrundwissen und den Bruchteilen an verstandenen Dialogen. Die beiden armen Schweine saßen jahrelang unschuldig in der Todeszelle und wurde am Ende für ein Verbrechen auf den elektrischen Stuhl geschickt, welches sie nie begannen hatten. Sacco und Vanzetti waren Sündenböcke – und Opfer politischer Gewalt in den USA. Gian Maria Volonté spielt hervorragend und die minimalistisch eingesetzte Musik von Ennio Morricone ist ein Gänsehautmoment. Berühmt wurde der legendäre Track Here is to you, im Original von Joan Baez gesungen. Dieser Morricone-Welthit setzt im Film erst im Abspann ein, hart an die letzte Szene mit dem elektrischen Stuhl geschnitten. Obwohl es keine Effekte gibt, ist die Szene mit der Hinrichtung von Sacco und Vanzetti ergreifend und trist. Ein paar Schnitte und Close Ups, etwas Licht und die absolute Verlorenheit der Opfer sind ein nahegehender Moment. Hier gibt es keine Musik, hier fallen nur wenige Worte, das Anlegen der Elektronenhaube spricht für sich. Das Licht flackert, das Bild wird schwarz, Morricone setzt die Musik ein und der Abspann rollt. Das Finale des Films wird durch sein bedrückend gutes Timing bestimmt. Ein lohnenswerter Kauf!

Here´s to you – Ennio Morricone

Here’s to you Nicola and Bart
Rest forever here in our hearts
The last and final moment is yours
That agony is your triumph

Weit weg von Anspruch, dafür aber dicht dran an grobschlächtiger und gut gefilmter Unterhaltung, ist Milano Rovente von Umberto Lenzi. Auch dieser Film ist in Deutschland nicht erschienen – und wenn man sich den Streifen ansieht, weiß man auch warum. Mag es auch keine besonders blutige Gewalt geben, ist der Film doch ein volles Fass an Sexismus und Frauenfeindlichkeit! Damals hätte man in Deutschland quasi alles zensieren müssen, denn in diesem Film sind alle Frauen Nutten, die man demütigen und reichlich oft verprügeln kann. Kein Wunder, spielt der Film doch im Rotlichtmilieu von Mailand, wo einfach jeder ein Arschloch ist. Die Drogenmafia hat sich mit der Puffmafia angelegt und die Nutten bekommen alles ab. Am Ende wurden jeder Schauspieler und jede Schauspielerin geschlagen und/oder getötet. Was für ein Film! Das ist ganz großes Umberto Lenzi-Kino und wurde zudem auch noch hervorragend gefilmt. Optisch ist das der beste Film aus meinen Käufen in Bologna. Das Mailand von 1973 liegt stets dunstig im Smog und wird farblich durch die fantastische Innenstadt-Neon-Reklame durchbrochen. Allein schon der Anfang des Films! Nutten posieren, wie für einen Reizwäsche-Pornokatalog, am Straßenrand und haben Mailand im Rücken, während die Credits eingeblendet werden. Milano Rovente ist definitiv einer der richtig guten Umberto Lenzis, denn hier wurde mit guten und sorgfältigen Einstellungen im Breitwandformat gearbeitet und übelst der Genre-Hammer ausgepackt. Tipp!

Nach vier Urlauben in Italien hatte ich nun endlich Erfolg! Physische Datenträger sterben aus und so war es ein schönes Gefühl, in der Dämmerung des Datenträger-Zeitalters noch einmal ein paar Originale in Italien kaufen zu können. Es waren Käufe aus sentimentalen Gründen. Die vier Filme stehen nun exponiert im Regal, verknüpft mit der Erinnerung an den missmutigen Verkäufer, dem ich am Ende dann doch noch ein Lächeln abringen konnte.

Bella Italia!

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