Italienische Erotikfilme aus den 80ern sind eine Klasse für sich. Man denke nur an Filmreihen wie Flotte Teens oder Black Emanuelle. Eine dürftige Handlung, viel nackte Haut und ein Drehbuch aus der Hölle. Einen gewissen Unterhaltungswert kann man diesen Filmen nicht absprechen, dennoch war echte Erotik vergleichbar vorhanden wie bei den Deutschen „Erotik“-Filmen, Schulmädchen Report oder Hausfrauen-Report, also gar nicht. Bei The Key-Der Schlüssel von Tinto Brass könnte die Sache aber anders aussehen, zumindest liegt dem ganzen ein Erfolgreicher Roman von Junichiro Tanizaki zugrunde, der in seinem Spätwerk des Öfteren Sex im Alter zum Thema machte. Außerdem darf man verwundert sein, wenn man feststellt, dass die Filmmusik von Ennio Morricone stammt, und man sich fragt, was der Meister der Western-Filmmusik hier zu suchen hatte. Wir sind also gespannt, was die WICKED VISION DISTRIBUTION GMBH uns hier erstmals unzensiert in ihrer „Ordinary Dreams Collection“ als Nr. 6 auf Blu-ray präsentiert und ob wir nur einen weiteren „Juckel“-Film oder tatsächlich eine Erotische Roman Umsetzung vor uns haben.

Originaltitel: La Chiave

Regie: Tinto Brass

Darsteller: Frank Finlay, Stefania Sandrelli, Franco Brianciaroli, Barbara Cupisti

Artikel von Kai Michael Netthorn

Venedig im Jahre 1940. Der alternde Kunstprofessor Nino (Frank Finlay) fühlt, dass er seine jüngere, leidenschaftliche Frau Teresa (Stefania Sandrelli) nicht mehr so befriedigen kann, wie sie es sich wünscht. Seine intimsten Gedanken und sexuellen Fantasien vertraut er einem Tagebuch an, darin auch der geheime Wusch, dass der Verlobte von Tochter Lisa (Barbara Cupisti) seiner Frau sexuelle Erfüllung schenken soll. Den Schlüssel zur Schublade, die das Tagebuch enthält, lässt Nino so liegen, dass seine Frau ihn zufällig finden muss…

Der Film beginnt mit einem Close Up der Kuppel der Santa Maria Della Salute in Venedig. Die Kirche wurde im 17. Jahrhundert erbaut, um der Jungfrau Maria für die Befreiung Venedigs von der Pest zu danken. Doch von der Pest befreit, macht sich in den 1940ern Jahren eine neue Seuche breit in Venedig. Immer wieder blitzt der in Italien erstarkende Faschismus auf, sei es der Faschistische Feierabend Verein (Dopolavoro Fascista), in dem Tochter Lisa ein engagiertes Mitglied ist, oder Gespräche mit Jüdischen Geschäftsfreunden. Das Unheil schwebt über der Stadt, wird aber von den meisten Menschen in Venedig ignoriert und ausgeblendet.

Aber das ist nur das Hintergrundrauschen des Films. Wir sind auf einem Ball und sehen Nino Rolfe, ein älterer, seriös wirkender Herr, der mit seiner Frau Teresa Rolfe und der Tochter Lisa nebst Verlobten, Laszlo Apony (Franco Branciaroli), an einem Tisch sitzen. Die Stimmung ist entspannt, es wird getanzt und gescherzt. Vom Alkohol enthemmt, zieht Nino empörte Blicke auf sich und seine Frau beim Tanzen. Nicht nur das Nino deutlich älter ist als seine Frau, was ihn in den Augen vieler schon als Stelzbock definiert, zusätzlich berührt er seine Frau auch noch unsittlich am Hintern. Da dies Teresa unangenehm ist, beendet sie den Tanz. Es scheint aber kein weiteres böses Blut zu geben. Auf dem nach Hause Weg erleichtert sich Teresa in einer Seitengasse und Nino steht schmiere, darf aber nicht gucken.

Nachdem sie zu Lisa und ihrem Verlobten aufgeschlossen haben, geht es weiter Richtung Heimat. Dort werden wir Zeuge eines kurzen Liebesspiels. Teresa wirkt etwas prüde und verstockt, denn Nino darf sie weder untenrum verwöhnen noch das Licht einschalten. So mündet das Ganze in einer kurzen Nummer, und als er ins Bad geht, sehen wir, dass sie sich selbst berührt. Die Lust ist also da, aber irgendwas bremst sie.

Als am nächsten Tag der Frisör zu Besuch kommt, um Nino die Haare zu schneiden, können wir in einer Schwarz/Weiß-Szene die stummfilmartig inszeniert wurde, den Tagträumereien von Nino beiwohnen. Später erfahren wir von seinem Tagebuch, in das er seine erotischen Gedanken und Wünsche niederschreibt, und dem Schlüssel für die Schreibtischschublade, in der er es versteckt. Er legt den Schlüssel auf den Boden zu den Haaren und besteht darauf das seine Frau das Zimmer reinigt, auf das sie den Schlüssel findet, das Tagebuch entdeckt, und so von seinen Wünschen erfährt.

Richtig in Fahrt kommt der Film, als Nino die Ohnmacht seiner Frau dazu nutzt, sie unter zur Hilfenahme eines hellen Strahlers genaustens zu betrachten. Das sind Momente, in denen das Gesehene schnell ins lächerliche umschlagen könnte, doch stattdessen greifen die Erotik und Anspannung über und man ist ganz Komplize.

Von da aus ist es nur noch ein kleiner Sprung zum heimlichen Fotografieren. Das der Negativfilm dann vom Verlobten entwickelt werden soll, da es so in der Familie bleibt, macht alle beteiligten endgültig zu Opfern und Täter. Denn mittlerweile hat sich eine Affäre zwischen Teresa und Laszlo entwickelt, die von Nino geduldet, wenn nicht gar forciert wurde, denn der Gedanke daran erregt ihn sehr, macht ihn aber auch Eifersüchtig.

Das alles hätte Potential für einen richtig schlechten Film, aber Tinto Brass und die Darsteller liefern hier etwas ab, was ich diesem Genre in Italien und zu dieser Zeit nicht zugetraut hätte. Die Schauspieler wirken absolut echt und glaubwürdig, der Film ist dann amüsant, wenn er es sein will, und die Kamera ist unser voyeuristisches Auge. Auch wenn einige Kritiker die Nacktaufnahmen als „gynäkologisch“ abwerteten und bemängelten das das politische Ambiente nur schwach vermittelt wird, kann man das dem Film meiner Ansicht nach nicht vorwerfen. 

Die „gynäkologischen“ Einsichten verstärken das Gefühl der Privatheit, des Geheimen, vielleicht sogar des Verbotenen, und lassen den Betrachter mitfühlen, geradezu mit spüren, wie es Nino geht, wogegen die Affäre zwischen Teresa und Laszlo eher ins Humorvolle geht, mit skurrilen Aufnahmen, die man so nicht erwartet hätte. Das politische Ambiente sorgt für eine Endzeitstimmung und der ständigen Bedrohung einer Neuordnung der Verhältnisse, die dazu führt, das mögliche Ängste überwunden werden und die Fokussierung auf die eigenen Bedürfnisse alles andere Ausblenden.

Ein weiterer Spannungspunkt im Film ist das sehr ambivalente Verhalten der Tochter. Sie spürt, dass ihre Mutter ein außereheliches Verhältnis hat, sie findet ihre Aktaufnahmen bei ihrem Verlobten und versucht ihren Vater darüber aufzuklären, andererseits ist sie schon so in den Faschismus involviert, dass man nie weiß, was ihre wirklichen Ziele sind, denn das der Vater immer noch Geschäfte mit Juden macht und sich aus allem politischem raushält kann ihr eigentlich nicht gefallen.

Und so vergehen diese 116 Minuten, ohne dass man sich langweilt, denn es macht Spaß die Protagonisten zu begleiten, man will wissen, wo es hinführt, ob es irgendwo hinführt. Von Amüsant zu spannend, von hoch erotisch zu frivol verspielt. Auch die Musik des Films sorgt für ein harmonisches Miteinander, wirkt nie aufgesetzt oder billig, sondern befördert den Film eine ganze Stufe höher. Ennio Morricone, der Schöpfer unvergesslicher Melodien wie zum Beispiel bei Zwei glorreiche Halunken (1966) oder Spiel mir das Lied vom Tod (1968), ordnet sein Schaffen hier ganz dem Film unter und hilft dabei eine Atmosphäre zu vermitteln die jeden Stimmungswechsel spielerisch begleitet, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.

Fazit:

Ein erotischer Film, laut Tinto Brass sein erster erotischer Film, der seine Charaktere und den Zuschauer ernst nimmt, der uns für gute 2 Stunden unterhält ohne Künstlerische Abstriche zu machen. Das alles für ein Budget von 200.000 Dollar, mit echter Liebe und Hingabe die man als Betrachter spürt.

Bei der mir vorliegenden Blu-ray Fassung ist noch eine Broschüre, Interview mit Tinto Brass, nicht verwendete Szenen, Deutscher Original Vorspann und eine Bildergalerie dabei. Die streng limitierte Blu-ray, die im Sammelschuber daherkommt, ist mittlerweile fast ausverkauft. Eile ist also geboten.

Wicked Shop:

Blu-ray inkl. Sammelschuber

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