Herzlich willkommen zum Anhang zu meiner Filmkritik. Schön, dass ihr den Link zu diesem Schattenbeitrag gefunden habt. Dieser Anhang soll eine Ergänzung zur Filmbesprechung des Filmes Race for Glory: Audi vs. Lancia sein, versteht sich jedoch auch als leidenschaftliche Gegendarstellung zu dem leidenschaftslosen Eindruck, den der Film und seine in irgendeiner Form Beteiligten beim Autor hinterlassen haben.

Ein Beitrag von Manuel Hinrichs

Liebe LeserInnen, wie leid ich es war, schon wieder einen motorsportlichen Film gesehen zu haben, der zwar in den Vorgängen der Realität angesiedelt sein sollte, aber nicht in der Lage war, die Spannung eben dieser Realität zu transportieren. Und ja, natürlich ist Race for Glory: Audi vs. Lancia keine Dokumentation, aber das kann doch wirklich keine Entschuldigung für diesen versäumten Gangwechsel sein.

Weil die motorsportlichen Ereignisse der Vergangenheit jedoch alles andere als im Standgas verblieben, kann ich einen Motorsportfilm in Schrittgeschwindigkeit also nur persönlich nehmen. Race for Glory: Audi vs. Lancia neigte dazu, das Publikum zu unterschätzen, indem Autoren und Produzenten, wahrscheinlich aus Geldmangel oder Unvermögen, ihr eigenes Genre entweder verrieten oder nicht ernst nahmen. Allerdings waren auch schon weitaus teurere Produktionen von dieser Unart betroffen. Ihr erinnert euch bestimmt noch an Pearl Harbor (2001). Bei diesem Film gab es eine Rahmenhandlung im Stil einer süsslichen Soap, mit ebensolchen Dialogen, die wohl als erzählerisches Gegengewicht zum wirklich minutiös inszenierten realistischen japanischen Angriff gesetzt wurde, welche das geschichtlich bedeutsame Ereigniss aber letztlich nur der Lächerlichkeit preisgab. Ähnlich verhielt es sich auch mit dem Film Monuments Men (2014). Raubkunst ist durchaus ein wichtiges Thema aber der Film konnte (oder wollte?) sich nicht entscheiden, ob er eine Komödie sein möchte oder ob er das Thema nicht vielleicht doch noch irgendwann ernst nehmen will. Unentschlossen wechselten sich ernsthafte Töne mit fast schon slapstickhaften Elementen ab.

Wir haben es also mit einem etwas größeren Problem zu tun: Innere Feinde, namentlich ängstliche Produzenten, die ihrem eigenen Genre nicht vertrauen und es deshalb unter aller Augen bis zur Unkenntlichkeit demontieren lassen. Immer betriebswirtschaftlich argumentierend, wird in einer Mischung aus Desinteresse, Unwissenheit oder Unvermögen einfach mal unterstellt, dass die Inszenierung eines motorsportlichen Ereignisses aus sich heraus nicht genügend Spannung für die Zuschauerschaft versprechen würde und deshalb mit unglaubwürdigen Handlungen der Charaktere oder auch mit komplett neuen Figuren verwässert werden muss. Race for Glory: Audi vs. Lancia ging aber noch weiter. So wurden real existierenden Personen komplett fiktive Persönlichkeiten verpasst, um die eindimensionale Dramaturgie des Filmes abzufedern, dazu gleich mehr.

Weil ich die Leidenschaft für alte nach Öl, Leder und Metall riechende Blech (oder Kunststoff-) skulpuren aber eher als Verplichtung, als eine Strafe begreife, begebe ich mich wiedereinmal auf eine Art Rettungseinsatz in motorsportlicher (eigener) Sache. Wo könnte man mal anfangen? Vielleicht bei der Tatsache, dass wir es hier tatsächlich mit einem Film mit einem bescheidenen Budget von nur 8 Millione Euro zu tun haben? Keine Ahnung, aber könnte das nicht schon alleine eine Erklärung sein, warum die Ausstattung toll, die Erzählung aber so uninspiriert war? Oder könnte es einer der Gründe sein, warum der Film so sichtbar desinteressiert vermarktet wurde? Auffällig war nämlich, dass 95% der europaweit veröffentlichten Bilder zu Race for Glory: Audi vs. Lancia diametral zu dem stehen, was Rallyefahren in der Gruppe B damals ausgemacht hatte und wofür sie bis heute einen Platz im Herzen der Fans hat.

Leider verbat es sich aber aus verständlichen Gründen zeitgenössische Bilder wie dieses, aus der damaligen Gruppe B-Ära, in die diesem Beitrag zugrunde liegende Filmbeprechung zur optischen Illustration zu integrieren, weil das Raum/Zeit-Kontinuum zwischen diesem Medienportal und der Außenwelt mit ihren kommerziellen Interessen unbeeinträchtigt bleiben sollte. Die (Promotion- und Vertriebs-) Hand, die diese Seite ja auch irgendwie füttert, sollte ungebissen bleiben. Unkommentiert kann die spannungsarme Inszenierung des Filmes aber nicht bleiben, dafür geschieht es in diesem Genre nämlich viel zu oft. Für eine tiefergehende Analyse sei auf dieser Seite der Beitrag Televisionen & Kulturinformatik SPEZIAL – Der beste Rennfilm aller Zeiten empfohlen.

Das von der Filmindustrie über Dekaden gepeinigte Genre des Motorsportfilmes hat es einfach nicht verdient, als weiteres deformiertes „Content“ im Straßengraben des Internets zu enden, wo es dann irgendwann von an der Materie uninteressierten Betriebswirten entdeckt, und erneut bis zur Unkenntlichkeit durch einen Verwertungswolf gedreht werden kann. Etwas, was offenbar auch diesem Lancia Rally 037 widerfahren ist, bevor ihm entweder die Straße oder das Talent des Fahrers ausgegangen war.

Dabei erscheint es nur logisch, dass sich ein Film, der das Leben real existierender Personen abhandelt und sich auf eine ganz bestimmte real stattgefundene Ära bezieht, auch an eben dieser Ära messen lassen muss. Und bei geschichtlichen Vorgängen, die sehr gut dokumentiert sind, sollte es eigentlich keinen nennenswerten Raum für Geschichtsklitterungen geben. Wir stellen also fest: Eine direkte Vergleichbarkeit zwischen dem Film und der Realität wäre speziell am Beispiel des Filmes Race for Glory: Audi vs. Lancia von gesteigerter Bedeutung gewesen.

Wie aber schon so viele Motorsportfilme vor ihm, glänzt natürlich auch Race for Glory: Audi vs. Lancia nicht gerade durch vielschichtige Filmfiguren. Dennoch erhebt er mit ein paar Ausnahmen dann tatsächlich aber doch den Anspruch, dass die meisten seine Figuren auf real existierenden Persönlichkeiten der Motorsport-Zeitgeschichte basieren, ich sagte es ja schon. Dafür spricht jedenfalls die Verwendung der Namen originaler Zeitzeugen, als da wären Cesare Fioro, Roland Gumpert, Walter Röhrl, Michèle Mouton, Hannu Mikkula uvm. Ebenfalls ein Umstand, der nur sehr wenig Spielraum für Interpretationen und Umdeutungen bei den Persönlichkeiten eben dieser Personen zulässt. Wie schon in der Filmbesprechung angemerkt, wurde das Problem dieser Umdeutungen bei Daniel Brühls Version von Roland Gumpert und Volker Bruchs Rolle des Walter Röhrl am deutlichsten erkennbar. Bei ihnen musste offenbar aus dramaturgischen Gründen eine komplette Neugestaltung ihrer tatsächlichen Persönlichkeiten stattfinden. Einer nachvollziehbaren Lebenswirklichkeit entrissen, wurde bei ihnen mit fortschreitender Filmlaufzeit die Pose daher wichtiger als die authentische Darstellung der Person. Aber Kunststück: Worauf hätten die Filmfiguren auch basieren sollen, wenn man ihnen ihre eigene Geschichte nimmt? Brühl und Bruch konnten am wenigsten was dafür, denn vermutlich gab ihnen das TV-Drehbuch einfach nicht mehr Material an die Hand. Nochmal: Namentlich waren alle Filmfiguren in der Realität verankert und mindestens zwei von ihnen verpasste man neue Persönlichkeiten, die wie ein Irrlicht flackerten. Wie, bitte schön, sollte das dem geneigten und an Rallyesport interessierten Zuschauer denn nicht negativ auffallen? Und, um die Kurzsichtigkeit dieser Aktion zu unterstreichen, bietet sich da nicht ein unangemessener Vergleich mit dem Dritten Reich an? Na klar, dass wäre so, als wenn u.a. Hitler, Goebbels, Göring usw., in einem Film über das Dritte Reich exakt jene dreckigen Massenmörder wären, die sie in der Realität auch waren. Himmler und Heydrich (Ausgerechnet!). hätte man hingegen neue Persönlichkeiten verpasst. Sie wären wundervoll aufrichtige und selbstlose Menschenfreunde, echte Philanthropen eben. Und mal Butter bei die Fische: Dass das keine gute Idee wäre, erklärt sich ja wohl von selbst.

Der Punkt ist: Diese unterentwickelten Filmfiguren und die unnötigen Veränderungen der Persönlichkeiten schadeten sichtbar dem Filminhalt; die Motive und irrationalen Handlungen speziell dieser Personen waren nicht mehr nachvollziehbar und störten die Erzählung. Wenn man es nicht besser wüsste, dann könnte man fast annehmen, dass deutsche TV-Redakteure ihre Hände im Spiel gehabt hätten, so sehr wirkte die Geschichte des Filmes mit der heißen Nadel gestrickt. Und um eine weitere Metapher zu bemühen: Die Batterie war zwar alt (dramaturgisch) aber immerhin vollgeladen (echt gute Ausstattung). Um aber zündfähig (mitreißend) zu sein, hatte das Luft/Kraftstoff-Gemisch (Realitäts- und Fiktionsanteile) nicht das richtige Mischungsverhältnis.

Natürlich wäre es vermessen anzunehmen, dass man in hier nur an den Vergasern herumschrauben müsste um die Zutaten des Filmes in ein explosionsfähiges Verhältnis zu versetzten, damit wir eine saubere Verbrennung und einen schönen Leerlauf bekommen, d.h. beim einen oder anderen Zuschauer die Leidenschaft für dieses Thema in einer gewaltigen Supernova ausbrechen kann. Da der Drops dieser italienischen Produktion bereits gelutscht ist, wird das aber kaum funktionieren.

Alles, was ein Motorsportfan an dieser Stelle noch tun kann, sind nur Schadensbegrenzungen, denn irgendwie stimmten auch meine eigenen durchaus noch lebendigen Erinnerungen an die Gruppe B nicht mit den Bildern des Filmes überein. Das war dem Autor Anlass genug, die Deutungshoheit über die Erinnerungen an die Gruppe B nicht den monetären Durchlauferhitzern der Filmwirtschaft oder irgendeiner Marketing-Agentur zu überlassen. In diesem Geiste, und weil die automobile Ausstattung auch vor Zerstörung geschützt werden musste, nun einfach mal ein weiteres Symbolbild, das die echte Gruppe B ganz anschaulich illustriert, und an dem ich mir durchaus ein Beispiel nehmen werde: Never surrender!

Und genau hier beginnen die Probleme. Um dem Film gegenüber aber fair zu bleiben, ist es ist jedoch ein unumstößlicher Fakt, dass er für die genuinen Rallye-Fans unter den Zuschauern selbstverständlich fremd und unkenntlich wirken musste. Natürlich war das weitestgehend der konsequent durchgezogenen filmischen Perspektive Fiorios geschuldet, aber wie sollte ein normaler Rallye-Fan eine solche Perspektive auch wiedererkennen? Die meisten fachlich interessierten Zuschauer können all diese Vorgänge der Rallye-Saison 1983 nur aus dem Fernsehen, aus Zeitungen, oder auch aus Büchern kennen. Also aus zweiter, dritter, vierter Hand! Mit etwas Glück könnten einige Filmzuschauer vor knapp 40 Jahren vielleicht noch an der Strecke, auf irgendeinem Feld oder mitten im Wald gestanden haben (durchaus möglich), vielleicht hatten einige eine Zugangsberechtigung zum Paddock gehabt, d.h. zum geschlossenen Fahrerlager (weniger wahrscheinlich), oder waren Zeuge bei der technischen Abnahme der Fahrzeuge (noch unwahrscheinlicher). Das aber einer der Zuschauer ein Teil des Lancia Werksteams, des Führungsstabes oder der Mechaniker Crew war, kann man wohl getrost ausschließen.

Umso wichtiger wäre es gewesen, dass der Film sich bemüht hätte zu vermitteln, wie aufregend anders es damals war. Also versuchen wir nun, Licht ins Dunkel zu bringen und natürlich kann so eine Aufarbeitung nur ein individueller Einblick sein. Aus meiner Zuschauerperspektive war die Rallye-Weltmeisterschaft in der Gruppe B jedenfalls höllisch spannend.

Auf die Umstände, die dazu geführt haben, dass gerade 1983 eine der spannendsten Saisons überhaupt war, der Film aber seltsam unspannend blieb, bin ich ja schon in der Filmbesprechung mehrfach eingegangen. Aber auch 1983 hätte man die bevorstehenden Eskalationen schon erahnen können, weil gerade das Gruppe B-Reglement alles andere als ein blasses Entertainment ohne Folgen war. Im Gegensatz zum Film hatte der Rallyesport jener Jahre nämlich eine extrem dunkle Seite und war gerade deswegen in der Geschichte des modernen Nachkrieg-Motorsports auch so einmalig.

Als die brutalste aller Rallye- und Rennserien 1982 etabliert wurde, sahen die Rallyefahrzeuge wie normale Straßen-PKW mit Werbeaufklebern aus. Und meistens waren sie auch genau das! Mit einigen Ausnahmen besaßen die Stärksten von ihnen zwischen 300 und 350 PS und hatten dadurch bis zu viermal so viel Leistung wie ihre Pendants auf den öffentlichen Straßen. Gefahren wurde mit diesen Fahrzeugen hauptsächlich auf abgesperrten öffentlichen Landstraßen, sowie auf Feld-, Wirtschafts- und Forstwegen, die oft nur wenige Zentimeter breiter waren als die Fahrzeuge selbst. Man musste also bereits hier kein Genie sein, um zu erkennen, dass das nicht jedes Mal gut gehen kann! Und nebenbei: Bei der Faszination für diese Sache geht es im besten Falle natürlich nicht um Voyeurismus oder Blutdurst, aber es geht durchaus schon darum, ein authentisches Gefühl zu haben… wirklich im Magen zu spüren, was man da sieht. Eine hohe Anforderung.

Da das Gruppe B-Reglement von Anfang an aber eher eine „Mehr hilft mehr und macht, was ihr wollt“-Anregung, als eine echte Reglementierung war, stand den Zuschauern also eine aufregende Zeit bevor. Das Resultat war nämlich, dass die Rallyefahrzeuge von Saison zu Saison mit Unsummen weiterentwickelt wurden. 1986 waren sie in derart brutale und nahezu unkontrollierbare Waffen aus Kevlar und Titan transformiert worden, dass die elitäre Formel 1 dagegen, wie ein Kindergeburtstag mit Hüpfburg in Beverly Hills aussah, Den Straßen-PKWs ähnelten sie immer noch grob, allerdings nur noch optisch. Stellt euch einfach eine Mittelklasse-Pkw Plastikhüllen-Silhouette über lupenreiner und konsequenter Rennwagentechnik vor. Während die Formel 1 also wie ein feingliedriges akkurat geführtes Skalpell daherkam, waren die Fahrzeuge der Gruppe B eher mit ultrabrutalen und feuerspuckenden Competition Hochleistungs-Kettensägen zu vergleichen. Zu ihrer Zeit stellten diese Hüllen mit ihrer Rennwagenseele ganz klar den absoluten Peak des Motorsports dar und die Zuschauerzahlen bestätigten das: Hunderttausende Fans säumten die Wege jedes einzelnen Rennens welche, im Gegensatz zu heute, noch nicht aus kurzen 10-Kilometer Stages bestanden, sondern aus Etappen, die durchaus auch mal 100 Kilometer betragen konnten. Und wie man sehen kann, ging es immer um Alles.

Unvergessen ist bis heute die TV-Aufnahme eines mit hochgereckter Nase und mit weit über 150km/h durch den Wald rasenden Audi Sport Quattro S1 E2, der bei einem kleinen Sprunghügel Unterluft bekam, langsam abhob (die Kamera zieht in der Bewegung des Fluges mit) und nur mit den Hinterrädern aufkam, die Vorderräder auf den Waldweg ditschten, durch die Unterluft und den gewaltigen Schub die Nase aber wieder in die Luft reckte und von einer Seite des mit Bäumen gesäumten Weges zur anderen Seite schlingernd, wie von einem Gummiband gezogen, und stellenweise nur auf der Hinterachse tänzelnd, in Richtung des Horizontes und somit in die leichte Unschärfe des Zoomobjektivs verschwand, weil der Kameramann es nicht so schnell geschafft hatte, die Schärfe zu ziehen. In lebendiger Erinnerung blieben auch hinter dem Wagen auf den Weg taumelnde Zuschauer, welche fassungslos die Hände über dem Kopf zusammenschlugen.

Zu Beginn sagte Walter Röhrl noch selbstgewiss: „Ein Auto ist erst dann schnell genug, wenn man morgens davorsteht und Angst hat, es aufzuschließen!“. 1986 kam er bei der Frage, ob er zum Erfühlen der Fahrbahn und des heftigsten Einsatzgefährtes seiner Karriere, dem Audi Sport Quattro S1 E2, sein Popometer benutzen würde, also jenem Gefühl, bei welchem man den Fahrbahnzustand über die Sitzfläche vermittelt bekommt, schon deutlich hörbarer ins Grübeln: „Popometer? Wenn du bei dem Auto überhaupt was spürst, ists der Zettel, den sie dir an den Zeh machen!“. Und kam folgerichtig zu dem Schluss: „Im Prinzip bist du bei diesem Auto mit dem Denken schon zu langsam!“.

Bis heute ist es sichtbar: Nichts davor und nichts danach war mit dieser Ära und diesen Fahrzeugen vergleichbar. Deutlicher als alle anderen Renngeräte trennten sie die Spreu vom Weizen, man ritt, im wahrsten Sinne des Wortes, auf einer Kanonenkugel. Zwischen 1982 und 1986 waren die Motorleistungen der Fahrzeuge um 50 bis 100 PS pro Saison angestiegen, weshalb flügelbewehrte 600 PS-Geschosse in ihren finalen Evolutionsversionen der letzten Saison 1986 für die Beschleunigung von 0 auf 100km/h nur noch ca. 2,5 Sekunden benötigten… auf Schotter! Ich meine mich zu erinnern, dass ich seinerzeit von einer Demonstrationsfahrt auf dem Grand Prix Kurs von Monaco gelesen habe. Ein Gruppe B-Fahrzeug absolvierte in Monaco eine Runde auf dem Grand Prix Kurs schneller als ein Formel 1-Rennwagen des selben Jahres. Es war eine Demonstration der tatsächlichen Kräfteverhältnisse.

Der eigentliche Knackpunkt war aber, dass auch in den letzten beiden Jahren 1985 und 1986 die Rallyes der Gruppe B immer noch auf denselben schmalen Wegen stattfanden, auf denen sie immer schon gefahren waren! Ohne Servolenkung oder sonstige elektronische Fahrhilfen prügelten die Piloten ihre erdgebundenen 1000kg-Projektile mit bis zu 200km/h über die Sandwege ausgedehnter skandinavischer Wälder, Flugeinlagen inbegriffen, zirkelten durch die engsten Dörfer und über die kurvenreichsten Bergstraßen Korsikas, frästen mit Spikes über komplett vereiste Alpenpässe, balancierten mit Höchstgeschwindigkeit auf von Feldsteinmauern begrenzten englischen Farmwegen und pflügten sowohl über die ausgewaschenen Buckelpisten afrikanischer Steppen, als auch über die mit Zypressen gesäumten sanften Hügel Italiens. Natürlich nicht zu vergessen die mörderischen Geröllpisten Portugals und Griechenlands. Die letzte Wertungsprüfung der Rallye Monte Carlo hieß nicht ohne Grund „Die Nacht der langen Messer“!

Durch den Bezug auf das Jahr 1983 musste der Film das alles ignorieren aber bis heute ist die Gruppe B das Verrückteste und Spannendste, was jemals im Fernsehen übertragen wurde.

Das wirkliche Alleinstellungsmerkmal dieser Rallyeserie war jedoch, dass die unkontrollierbaren Zuschauermassen an den Wegen ihren Helden im laufenden(!) Rennen näherkommen konnten als in allen anderen motorsportlichen Events, die bisherigen Bilder verrieten es ja schon. Schon die vorangegangene Rallyeserie der Gruppe 4 (1954-1981) war bei den Zuschauern beliebt und zeichnete sich ebenfalls nicht gerade durch Unnahbarkeit aus. In ihr trafen so unterschiedliche Fahrzeuge aufeinander wie der Mini Cooper S, der Alfa Romeo GTA, die Alpine A110, den Fiat 131 und natürlich den Lancia Stratos HF und den Ford Escort. Und ja, sogar der Ford GT40 war ein nach der Gruppe 4 aufgebauter Wagen.

Durch die Eskalation der Leistung wurde es in der Gruppe B dann jedoch auf die Spitze getrieben: Sie war nicht nur nahbar, sondern war, im wahrsten Sinne des Wortes, ein Sport zum Anfassen! Heute undenkbar, standen die Zuschauermassen zentimeternah und vollkommen ungeschützt an den Pisten und die Wahnsinnigsten von ihnen versuchten, die vorbeirasenden Fahrzeuge mit ihren Händen zu berühren! Mit Folgen. Als Audi-Mechaniker den Audi Quattro von Michèle Mouton zwischen zwei Rallye-Sonderprüfungen technisch warteten und die Lufteinlässe säuberten, fanden sie in einer dieser Öffnungen einen abgerissenen Finger. Es sollte aber nicht bei Gliedmaßen bleiben: Im Mai 1985 wurde Attilio Bettega bei der Rallye Korsika getötet, als er mit seinem Lancia Rally 037 gegen einen Baum prallte. Sein Co-Pilot Maurizio Perissinot hatte Glück und blieb unfassbarerweise unverletzt.

Nicht mal ein Jahr später wurden bei der Rallye Portugal im März 1986, und live im Fernsehen, eine Mutter und zwei Kinder getötet, darunter ihr 11-jähriger Sohn, als Joaquim Santos in einer Kurve die Kontrolle über seinen Ford RS200 verlor. Mindestens 32 Zuschauer wurden hierbei teils schwer verletzt, einer von ihnen verstarb später im Hospital.

Der wirkliche Wahnsinn zeigte sich aber unmittelbar nach dieser Tragödie: Während die Unfallstelle durch die Schmerzensschreie der Verwundeten langsam im Chaos versank, erlaubten Veranstalter und Offizielle noch elf weiteren Rallyefahrzeugen, in diese Etappe zu starten. Das bedeutete: Über einen Zeitraum von knapp 30 Minuten kamen noch weitere elf Fahrzeuge im Renntempo an der Unfallstelle vorbei, bevor die Offiziellen endlich den ersten(!) Krankenwagen auf die Strecke ließen! Diese unterlassene Hilfeleistung zugunsten der Werbepartner des Organisators konnte man übrigens ebenfalls live im TV sehen. Unfähig, Sicherheit herzustellen, war die Gruppe B da aber bereits längst im freien Fall, auf ihrem Weg in den Abgrund. Als wenn es dafür noch eine letzte Bestätigung gebraucht hätte, verbrannten dann zwei Monate später, im Mai 1986, Henri Toivonen und sein Beifahrer Sergio Cresto bei lebendigem Leibe, nachdem sie bei der Rallye Korsika die Kontrolle über ihren gewaltigen Lancia Delta S4 mit Startnummer „4“ verloren hatten.

Ich erinnere mich noch genau an das Feuer ihres Wagens im Wald. Warum? Weil Gevatter Tod auch in diesem Fall live on TV war! Nach dem Todessturz reagierte FIA-Präsident Jean-Marie Balestre gewohnt staatstragend und löste die Rennserie der Gruppe B mit einem theatralischen Gestus und Krokodilstränen im Knopfloch auf. Krokodilstränen deshalb, weil alle beteiligten Offiziellen natürlich von Anfang an wussten, dass Sträucher und Gräser keine „Protect-Barrier“ sein konnten, die einem Einschlag bei 200km/h standhalten würden, und selbstverständlich auch, dass 600 PS-Autos auf schmalen Wirtschaftswegen mit unmittelbar neben und auf der Strecke befindlichen Zuschauern vielleicht doch keine so gute Idee waren. Die bereits in den Startlöchern wartende Gruppe S des kommenden Jahres 1987 wurde jedenfalls gleich mit eingestampft.

Zur „Wahrheit“ gehörte aber auch, dass es bei der Auflösung der Gruppe B nicht um den gesunden Menschenverstand ging oder es gar ethische Gründe hatte. Es wurde bekannt, dass die FIA auch von den Werbepartnern der Gruppe B unter Druck gesetzt wurde. Das Geld der Konsumenten hatten sie immer sehr gerne genommen aber -herrjeh- wie man auf dem folgenden Bild erkennen kann, war von Toivonens Delta S4 nach dem Feuer nicht mehr viel übrig und den Werbepartnern schien wohl zu dämmern, welche Botschaft weltweit ausgestrahlte Fernsehbilder der Aufnäher ihrer Marken auf brennenden menschlichen Körpern transportieren würden.

Aber im Grunde war das auch alles egal, denn das Geld der Kunden war ja schon in der Kasse. Nur wenige Wochen später konnte man im Fernsehen deshalb erneut live sehen, was dieses „Verbot“ wirklich bedeutete. Denn nur weil eine Rennserie verboten war, waren die Fahrzeuge ja noch nicht verschwunden. So kam es, wie es kommen musste. Begleitet durch einen Kamera-Helikopter, verlor Marc Surer im Ford RS200 bei der Rallye Hessen bei knapp 200km/h auf einem Feldweg die Kontrolle über seinen Wagen und prallte gegen einen Baum. Zwar standen dort immerhin keine Zuschauer direkt an der Strecke, aber der RS200 explodierte sofort in einem Feuerball. Während Surer aus dieser Feuerhölle gerettet werden konnte, anschließend drei Wochen im künstlichen Koma lag und den Unfall wie durch ein Wunder überlebte, hatte es sein Co-Pilot Michel Wyder aber gar nicht erst aus dem Auto geschafft. Der Rest ist Geschichte: Die Gruppe B-Ära war vorbei. Zwischen 1987 und 1992 fanden die übriggebliebenen Gruppe B-Fahrzeuge dann doch noch einen neuen Verwendungszweck bei der Rallycross-Europameisterschaft, wo meist kurze knackige Rennen auf abgesperrten und für die Zuschauer verhältnismäßig sicheren Rundkursen in Fußballplatz Großen Freiluftarenen abgehalten wurden. Das Verrückte war: Selbst in diesen abgesperrten Arenen, versprach ein einziges mit alten Gruppe B-Fahrzeugen durchgeführtes Rallyecross-Rennen immer noch sehr viel mehr spannende Unterhaltung als eine ganze Formel 1-Saison der Gegenwart. Hier konnten sie noch ein letztes Mal zeigen, wozu sie fähig waren, bevor dann auch schon die ersten Sammlerkreise auf die Fahrzeuge aufmerksam wurden. Und so ging diese Ära zu Ende.

Eine weitere Wahrheit zur Gruppe B war aber auch, dass es selten zuvor bei einem sportlichen Ereignis so sehr sichtbar war, welchen Preis das Hirngespinst des „Rennens für den Ruhm“ wirklich hat.  Fiorio hält zu Beginn des Filmes fest, dass die Rallyes „demokratisch“ waren. Und ich lege mich ebenfalls fest: Ja, ich liebe die Direktheit von Vorkriegsrennen, den grenzenlosen Wahnsinn der alten Straßenrennen vom Schlage einer Targa Florio oder der Mille Miglia, und auch die brutale Länge der 24H du Mans aber im direkten Vergleich zu neueren Motorsportveranstaltungen, denen man im geschützten Raum auf einer geschlossenen Rennstrecke beiwohnt und sich an einer Gefahr ergötzt, der sich andere aussetzen und die einen selbst nicht betrifft, war die Gruppe B dann zumindest doch die aufrichtigste aller Nachkriegs-Rennserien. Ganz einfach deshalb, weil alle Beteiligten auf allen Seiten permanent und gleichermaßen in Todesgefahr waren. Das mag zynisch klingen, aber für mich hört sich das auf irgendeiner Ebene tatsächlich irgendwie fair an.

Mit Fairness ist es aber so eine Sache. Man könnte natürlich sagen, dass jeder seines Glückes Schmied ist. Ich müsste aber erwidern, dass leider nicht alle einen Amboss haben! Während an offiziellen Rennstrecken zur Erinnerung an die motorsportlichen Fakten seit Dekaden überall Schilder mit dem Text „Warning! Motorsport can be dangerous! You are present at your own risk!“ montiert waren und immer noch sind, um die Fans auf das einzunorden, worauf sie sich gerade einlassen, gab es solche Schilder an den zu Rallyestrecken umfunktionierten öffentlichen Wegen und Straßen nicht. Es kam also zu Fehleinschätzungen der Risiken durch Erwachsene, weswegen leider auch Kinder an die Strecken mitgebracht wurden. Es bleibt also nur eine bequeme Lüge, dass alle Beteiligten dasselbe Risiko trugen und ja eine Wahl gehabt hätten. Dabei dürfte jedem klar sein, dass Kinder ganz sicher nicht die Wahl gehabt haben, ob sie dorthin gehen. Dieser Umstand war eindeutig die unerträglichste Sollbruchstelle der Gruppe B. Im Nachhinein ist man natürlich immer etwas schlauer, aber es erscheint auch Jahre danach noch unverständlich, wie einzelne Zuschauer tatsächlich glauben konnten, dass Kinder im direkten Dunstkreis von 600 PS-Fahrzeugen auf schmalen Feldwegen ähnlich sicher wären, wie an abgesperrten Strecken mit Sicherheitszonen, auf denen 600 PS-Fahrzeuge fahren. Immerhin schwebte doch bei jedem Rennen aufs Neue über jedem Anwesenden unablässig und ohne Ansehen der Person, ihres Status, Geschlechts, Herkunft oder ihres Alters, weithin sichtbar das Damokles-Schwert des Todes… über den Piloten… den Zuschauern… und den Medienvertretern.

Tja, und so sah sie ebenfalls aus, die Realität der „anything goesGruppe B. Angesichts der unzureichenden Erzählung des Filmes ist es da fast nur noch eine Fußnote, dass mit Helmut Deimel zwar ein ausgewiesener Chronist des Rallyesports für die Dreharbeiten zur Verfügung stand, sich aber im Vorfeld kein Vertreter der Filmproduktion bei einem Rallyefahrer dieser Ära gemeldet hatte, z.B. beim echten Walter Röhrl. Hierzu befragt, bekundete er in einem Interview, dass er tatsächlich anfänglich noch Bereitschaft signalisiert hatte, für einen solchen Film als Berater zur Verfügung zu stehen. Inzwischen hat Röhrl sich jedoch vom Film distanziert und ist auch nicht zur Premiere erschienen. In einem Interview sagte er: „Ich gehe da sicher nirgends hin. Da muss ich mich ja schämen!“. Einer seiner Gründe, der Premiere fernzubleiben, mochte sicherlich die Persönlichkeit des Film-Röhrls gewesen sein, welcher dem echten, sachorientierten Röhrl, mit zu viel Show ausgestattet war. Und ein anderer, dass der Film, seiner Ansicht nach, „die beste Rallye-Saison überhaupt verhunzt“ hätte, seine „Lieblings-Saison“. In dem Film, so Walter Röhrlweiter, wurden „(…) Menschen und Handlungen dazuerfunden, die es einfach nicht braucht. Nicht der Sport (stände/ed.) im Mittelpunkt, sondern (die/ ed.) unnötige Show!“. Und schiebt gleich noch die feinsinnige Analyse eines professionellen Rallyefahrers hinterher: „Wenn dieser Film ein Erfolg wird, kann jeder Depp einen erfolgreichen Film machen!“. Gradlinig und kein Blatt vor den Mund, dafür liebt und schätzt man Walter Röhrl. Seine Filmfigur hatte ihm einfach zu wenig mit dem zu tun, was das Rallyefahren ausmacht: Perfektion in der Fahrzeugbeherrschung bei dauerhafter Fokussierung und Konzentration! Daher würde der Film-Röhrl alles Mögliche seien, aber sicherlich kein Rallyefahrer. Dem kann der Autor nur beipflichten. Und wenn man sich ehrlich macht, hätte im Grunde alleine diese Expertise für die Bewertung des Filmes komplett ausgereicht.

Natürlich gehorcht ein Film immer anderen Regeln als die Realität aber die Intuition des echten Röhrl lag goldrichtig: Er hätte sich im Kino vermutlich wirklich(!) dafür geschämt, wofür sein Name missbraucht worden ist. Scham mag sich in diesen Tagen ähnlich altmodisch anhören wie Anstand, aber ich denke, dass sich niemand von uns ohne Not live vor einem Publikum diskreditieren lassen wollen würde. Warum sollte das also ausgerechnet der beste Rallyefahrer aller Zeiten tun wollen? An kalten Füßen wird es ganz sicher nicht gelegen haben.

Warum mache ich überhaupt diesen Aufriss? Und überhaupt: Warum sollte man überhaupt eine Leidenschaft für irgendetwas Altes entwickeln? Keine Ahnung, aber Jurassic Park sorgte 1993 für einen Saurier-Relaunch bei einem zum damaligen Zeitpunkt wirklich noch schnarchigen und längst totgeglaubten Fachgebiet. Angeregt durch diesen Film, wollten Kinder plötzlich Paläontologe werden. Und selbst wenn es nur einer von ihnen wirklich geschafft hat, rechtfertigte das schon diesen Film. Auch gegenwärtig mag es trotz der Allmacht der neuen Medien hunderte Beispiele der Inspiration durch Filme geben. Zum Beispiel entfachte der Film Das Damengambit (2020) gerade auch bei jüngeren Zuschauern das Interesse an dem Kriegsspiel Schach, welches ja nun auch nicht gerade erst gestern erfunden worden war.

Also, warum nicht auch historischer Motorsport? Immerhin gibt es neben der Neugier auf Neues ja auch ein Bedürfnis dafür, neue Geschichten erzählt zu bekommen. Da würde gerade der historische Motorsport doch recht nahe liegen, weil jeder einzelne historische Rennwagen ein eigener Charakter ist. Mittels Automobil-Archäologie könnten sie äußerst glaubhaft ihre eigenen ganz individuellen epischen Geschichten über Triumphe und Tragödien aus erster Hand mitteilen, quasi als eine Art Erzähler ihres ganz persönlichen Filmes. Und geht es bei Filmen letztlich nicht genau darum? Glaubwürdige und authentische Geschichten?

Aber selbst, wenn man berücksichtigt, dass die Filmfiguren des Jahres 1983 ja noch gar nicht wissen konnten, welchen horrormäßigen Verlauf die Geschichte nehmen würde, so entband es die Filmemacher trotzdem nicht davon, dieses Thema mit sehr viel mehr Leidenschaft anzugehen und mindestens eine Hommage an alle(!) beteiligten Namensgeber zu drehen. Und, ganz wichtig: Vielleicht hätte man sich Expertisen von den beteiligten Zeitzeugen, d.h. den Fahrern, einholen müssen, um zu verstehen, dass eine kompromisslose Ära nicht mit Kompromissen darstellbar ist.

Welches Hirngespinst, welche Sorte betriebswirtschaftlicher Kaltblütigkeit im Stil eines österreichischen Zuckerwasser-Herstellers aber letztlich tatsächlich dazu geführt hat, aus einem ultrabrutalen realen Thriller samt all seinem Potential einer ausgewachsenen Tragödie shakespeareschen Ausmaßes, ausschließlich ein unreflektiertes und leicht verdauliches Sonntagsnachmittags-TV-Loblied auf den Heroismus zu drehen, dazu mag sich jeder selbst eine Meinung bilden.

Vielleicht ist das aber auch alles zweitrangig, solange nur die Show stimmt. Ich meine, Bild und Ton der vorliegenden Blu-ray waren ja tatsächlich klar und deutlich. Wer würde da noch mehr wollen? Sind wir etwa in Inglewood?

Filmkritik Race for Glory: Audi vs. Lancia

Zurück zur Startseite