Colin Farrell ist Herzchirurg mit schlechtem Gewissen und hat Martin an der Backe, den Sohn eines verstorbenen Patienten, den Farrell unter dem Messer hatte. Leider ist Martin ein Psychopath, was jeder sofort mitkriegt, nur Colin Farrell und seine Familie nicht. Martin will Rache und jemand muss sterben.
Regie: Yorgos Lanthimos
Darsteller: Colin Farrell, Nicole Kidman, Barry Keoghan, Alicia Silverstone
Artikel von Kai Kinnert
Der Film beginnt dramatisch. Ich blicke auf ein schwarzes Bild, getragene klassische Musik erklingt. Dann ein harter Schnitt. Plötzlich ist ein menschliches Herz zu sehen. Es schlägt im geöffneten Brustkorb. Es ist eine Herzoperation. In diesem Fall sogar eine echte Operation, ein echtes Herz. Dann wieder ein schwarzes Bild. Dann der Titel. Lange eingeblendet. Colin Farrell zieht sich in Zeitlupe die blutigen Handschuhe aus, legt dann die OP Brille ab. Dann ein Gespräch mit einem Kollegen auf dem Krankenhausflur. Gefilmt in einer langen Kamerafahrt wie in einem Kubrik-Film und sofort wird klar: Hier geht’s um Style, willkommen beim Kunstfilm.
Yorgos Lanthimos drehte hier seinen ersten, großen Spielfilm und serviert klar einen europäischen Arthouse-Film in amerikanischer Kulisse. Colin Farrell sitzt nach der Operation als Steven Murphy in einem Diner mit dem seltsamen Martin (Barry Keoghan) und sie unterhalten sich knapp. Das Verhältnis zwischen den beiden scheint angespannt zu sein, nur wenige Worte in andächtig vorgetragener Inszenierung werden dabei gewechselt.
Die Spannung scheint auch in Murphys Familie zu herrschen. Das Abendbrot bei Tisch mit Ehefrau Anna (Nicole Kidman) und den Kindern eröffnet die Kamera in einer schrägen Weitwinkelaufnahme. Kalt und fremd wirkt die Szenerie. Scheint ja super da zu sein, denke ich und öffne mir ein Bier. Die Dialoge wirken spartanisch und etwas verkrampft, die Kamera sagt einem ständig das hier nichts normal ist und plötzlich wirft sich Nicole Kidman als sexy Milf in Unterwäsche aufs Bett und bietet sich als Anschauungsobjekt für ihren Ehemann dar, der gerade ein Buch liest. Seit Lars von Trier darf man sich im Kunstfilm als Schauspieler auch an den Schwanz fassen und so auch Farrell. Kurz im Hintergrund geht’s los und dann langer Cut auf die attraktiv hingeflätzte Kidman. Das war nicht schlecht gefilmt und doch nicht zu frech, Lanthimos bleibt seiner künstlerischen Oberfläche treu.
Darum musste ich mir auch ein Bier öffnen, da der Film – auf Teufel komm´ raus – seinen Anspruch alles andere als bescheiden zelebriert. Hier ist ja alles Kunst. Es schwirrt schon eine gewisse Spannung mit, aber zu diesem Zeitpunkt des Films bin ich mir nicht sicher, ob man sich das weiter ansehen muss. Bislang gefällt der Film sich eher selber und gibt sich mysteriös.
Murphy trifft sich öfter mit Martin und es scheint nun deutlich ein Schuldgefühl zu sein, das Muphy zu diesen Treffen antreibt. Obwohl Murphy sich ungern mit Martin trifft, kommt es dazu, dass er ihn zu sich nach Hause einlädt. Martin bringt für Anna und die Kinder Geschenke mit und erobert so schnell ihr Vertrauen. Es ist klar, das Martin nicht klar bei der Stange ist und Murphy sich jetzt das Unheil ins Haus geholt hat. Das alles entrollt sich in langsam tröpfelnden Dialogen und vielen Kamerafahrten in langen, komplexen Einstellungen.
Murphy scheint tief in der Tinte zu stecken, denn jetzt muss er schon bei Martin zu Hause mit seiner Mutter (Alica Silverstone) auf dem Sofa den Lieblingsfilm des verstorbenen Ehemanns ansehen. Die Mutter von Martin scheint auch kein normales Verhältnis zu Murphy zu haben, denn sie beginnt seine Hände zu küssen und an seinem Daumen zu lutschen. Da reicht´s dann Murphy endgültig und er geht. Daraufhin beginnt Martin ihn mit Anrufen zu nerven und entpuppt sich so als der Irre, der er schon immer war und nun die Familie ins Unheil stürzen wird. Es beginnt mit dem Sohn von Murphy, der plötzlich seine Beine nicht mehr bewegen kann und nicht mehr Essen mag. Murphy steht vor einem medizinischen Rätsel und so trifft er sich doch wieder mit Martin, der ihm verklickert, dass Murphy bei einer OP seinen Vater umgebracht hat und er jetzt wenige Tage Zeit hat, jemanden aus seiner Familie umzubringen. Sonst würden alle krank werden und innerhalb kürzester Zeit sterben. Sein Sohn ist der erste. Daraufhin macht sich Martin an die Tochter von Murphy ran und schon knicken auch ihr die Beine weg. Martin vergiftet langsam alle. Und doch bleibt irgendwie alles so, wie es war.
Man beobachtet staunend die Trägheit des Geschehens und wundert sich, wie lange Murphy sich noch mit dem psychotischen Martin abgeben will und dann – schon fast zu spät – gibt’s auch endlich mal aus Verzweiflung was auf die Fresse. Doch Martin beweist auf eindringliche Art und Weise, das ihm das nichts ausmacht. Aus ihm wird Murphy nicht herausbekommen wie die Kinder zu retten sind und so ist sich Murphy mit seiner Frau einig, dass tatsächlich ein Kind sterben muss. Nur welches? Oder vielleicht doch seine Frau? Da hilft es auch nicht, das Anna sagt, man könne danach ja ein neues Kind zeugen.
Und auch die Tochter verfällt plötzlich mit schrägen Dialogen in eine Aufopferung dem Vater gegenüber, das man sich fragt, ob LSD beim Schreiben des Drehbuchs eine Rolle spielte. Mir ist schon klar, welche Metapher diese Stelle im Film darstellt, doch funktioniert sie in ihrer gewollten Zuspitzung nicht. Alles in diesem Film ist so mit dem Holzhammer auf Kunst und Metaebenen verschoben, das man von dem Drama nicht mehr groß berührt wird.
Die Spannung ist Augenwischerei, denn sie führt auf keinen Klimax zu. Es ist von Anfang an klar, das Murphy jemanden aus seiner Familie töten muss. Anstatt daraus etwas mit Druck und Drama zu machen, zieht sich Lanthimos auf die Kunstfilmer-Schiene zurück und gibt sich irgendwelchen inneren Ebenen hin, die nur er sinnvoll versteht. Und so wird dann auch das Bier während des Films in meiner Hand warm. Als im Film Sohn und Tochter so mit gelähmten Beinen über den Boden kriechen, fühle ich mich an HUMAN CENTIPEDE erinnert und nehme einen Schluck warmes Bier. Murphy wählt am Ende eine etwas umständliche Art und Weise, einen seiner drei Angehörigen zu töten und man ist darüber fast erleichtert, das es jemanden trifft.
Der Film hat eine gute Kamera. Doch manchmal nimmt sie ihren künstlerischen Anspruch zu dick und lässt selbst einen Faßbinder alt aussehen. Es gibt auch Momente der Spannung. Man will schon wissen, wie Murphy wieder aus der Nummer herauskommt, aber große Unterstützung bekommt der Zuschauer dabei nicht. Und so bleibt THE KILLING OF A SCARED DEER eher klebrig zäh, als fies elegant und wurde so ein Kunstfilm, der so tut, als wäre er ein Thriller. Umgekehrt wäre besser.
Der Film hat keine zweite Ebene die ihn trägt. THE TREE OF LIFE mit Brad Pitt ist auch so ein Kunstfilm mit starker Kamera und wenig Handlung. Aber hier funktioniert es, denn Terrence Malick hatte eine Idee für weitere Ebenen, die er anreißen und künstlerisch in die Handlung verpacken wollte.
Wer Arthouse-Filme oder kunstvoll reduzierte Filme mag, die mit Andeutungen und kalten Dialogen inszeniert werden, kann bei THE KILLING OF A SCARED DEER getrost zuschlagen. Jede Minute in diesem Film ist Kunst. Freunde des ungewöhnlichen Thrillers hingegen werden auf der Strecke bleiben. Denn Kunst als einzige Oberfläche trägt keine Spannung.