Gebt Jason Yu einen weiteren Film! Warum dreht der Autodidakt, der vorher „nur“ ungelernter Assistent bei Bong Joon-ho (Parasite, Mickey 17) war und dort sein Können als Regisseur während der Praxis mit Bong erlangte, nicht schon längst seinen zweiten Film? Wen muss ich in Korea anrufen, damit dieser zutiefst sympathische Nachwuchs-Regisseur seinen nächsten Film drehen darf? Jason Yu ist ein herausragender Gruselfilm mit Alleinstellungsmerkmal gelungen: es ist die Liebe und Ernsthaftigkeit zu seinen beiden Hauptfiguren und ein erfrischend Klischee-freies Setting, das ohne die Brechstange für Spannung und Gewalt auskommt. Jason Yu drehte ein Kammerspiel, dass kein Kammerspiel ist, obwohl sich fast alles in der Wohnung des Ehepaares abspielt und es nur drei oder vier weiteren Nebenrollen gibt, sowie einen Hund. Jason Yu legte keine Schablone aus bekannten Versatzstücken des Genres an, sondern lies sich aus seiner eigenen Ehe heraus zu diesem Drehbuch inspirieren, welches eigentlich erst ein Gute-Laune-Film über ein Ehepaar sein sollte, das unter Schlafstörungen leidet. Als Jason Yu vor einigen Jahren seine Freundin heiraten wollte, machte er sich verstärkt Gedanken über Paare, bei denen einer plötzlich anfängt heftig zu schnarchen oder zum schweren Schlafwandler mutiert. Wie lebt es sich dann zusammen? Daraus entwickelte sich dann das Drehbuch zu „Sleep“, welches noch immer diesen humorvollen Ansatz der Grundidee innehat und vom tiefen Respekt zu seinen beiden Hauptfiguren getragen wird: „Ich wollte einen Film über ein Paar drehen, dass durch große Schwierigkeiten gehen muss, ohne sich dabei zu verlieren.“. PLAION PICTURES bringt dieses Kleinod koreanischen Grusels nun im Mediabook und im Streamingbereich heraus.

Originaltitel: Jam
Regie: Jason Yu
Darsteller: Jung Yu-mi, Lee Sun-kyun, Kim Geum-soon, Lee Dong-chan
Artikel von Kai Kinnert
Als Soo-jin aufwacht, sitzt ihr Mann auf der Bettkante und murmelt: „Er ist drin!“ Verstört schaut sie im Flur nach, doch es ist nur der Hund. Am nächsten Tag erklärt ihr Hyun-su, es sei ein Satz aus seinem neuen Film. Aber die nächtlichen Episoden häufen sich und Hyun-su macht eine unheimliche Verwandlung durch: Er kratzt sich im Schlaf blutig, verschlingt rohes Fleisch und wird immer aggressiver. Bald hat Soo-jin Angst um ihr Neugeborenes. Während die Ärzte Tests machen und Heilung versprechen, setzt die junge Mutter auf fest anliegende Schlafsäcke, doppelte Türschlösser und Nachtwachen. Das alles kann nicht mit rechten Dingen zugehen!

Jason Yu hat mit Sleep eine recht untypische Produktion abgeliefert, die ich in dem hoch-effektiven, akademisch durchorganisierten Filmland Korea so nicht erwartet hätte. Jason Yu ist nicht nur ein Autorenfilmer (was in Korea schon selten genug ist), der seine eigene Filmidee als Regie-Debüt bei einem großen Produzenten platzieren konnte, sondern er hat auch nie irgendeine Filmschule besucht, wurde also nicht im Rahmen der staatlich geförderten Ausbildung an den Hochschulen ausgebildet und so in den Arbeitsprozess der lokalen Studios eingepflegt. Stattdessen verhalf ihm seine Hartnäckigkeit als Quereinsteiger bei Bong Joon-ho zu kleineren Aushilfsjobs, der in dem angehenden Filmemacher alsbald viel Talent entdeckte. Diese glücklichen Umstände sorgten dann dafür, dass der junge und sehr freundliche Regisseur mit viel Hingabe seinen eigenen Film drehen durfte. Dabei ist ihm nahezu alles gelungen, was einem gelingen muss, um einen spannenden Film zu erschaffen.
Da sind die beiden Hauptfiguren Soo-jin (Jung Yu-mi, Train to Busan) und Hyun-su (Lee Sun-kyun, Parasite), die auf der Leinwand ein überzeugendes und liebendes Paar abgeben. Ihr Zusammenspiel ist von Witz und Zärtlichkeit zueinander geprägt, zwischen ihnen stimmt die Chemie einfach. Unterstützt wird das durch die detailliere und durchdachte Ausstattung der Wohnung des Paares, hier wurde mit wenigen unaufdringlichen Mitteln ein überzeugendes Set aufgebaut, in dem sich die Schauspieler glaubwürdig bewegen können. Feiner Witz durchschwebt die Dialoge ab und an, ein Witz, wie es eben Paare so an sich haben, die sich lieben. Hyun-su ist ein Kleindarsteller beim Film und beide sehen sich in der Nacht einen seiner Filme an, bei dem Hyun-Su als Bodyguard im Hintergrund herumsteht und sich ein einziges Mal (arg steif) ins Bild drehen darf und fragt: „Soll ich draußen warten?“ – „Nein, sie können da stehen bleiben!“ …um sich dann wieder hüftsteif in die alte Position zu drehen und weiter stumm im Hintergrund das Dasein eines Kleindarstellers zu fristen. Seine Frau ist begeistert und davon überzeugt, dass er bald große Karriere machen wird. Wir alle, Hyun-su selber und die Zuschauer vor den TV-Geräten wissen aber: dazu wird es nie kommen. Flankiert wird das nahbare Schauspiel durch eine feine und dezent gesetzte Kamera, die ohne Schnickschnack, dafür aber mit kleinen Fahrten und Bewegungen, sowie einem verdammt gut gesetzten Licht und einer wahrlich großartigen Filmmusik (verantwortlich: Hyukjin Chang und Yong Jin Chang), für eine zunehmend bedrohliche und unheimliche Stimmung sorgt. Mit Hyun-su passiert etwas – und das ist wirklich unheimlich. Lee Sun-kyun spielt seine Rolle als Hyun-su so gut, so sympathisch und dicht, dass allein das Wissen darum, in ihn könnte doch etwas Fremdes eingefahren sein, schlichtweg für Gänsehaut beim Zuschauer sorgt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wie tragisch, dass sich dieser talentierte Schauspieler noch im gleichen Jahr das Leben nahm.

Erst dachte ich, in meiner Wohnung zieht es kalt durch. Als ich den Film vor wenigen Nächten sichtete, lief mir ein kalter Schauer nach dem anderen an Armen und Rücken herunter. Ich kannte das Gefühl schon gar nicht mehr, denn der letzte Film, bei dem ich Gänsehaut bekam, war Todesstille mit Nicole Kidman von 1989 – und das war auf VHS. Kein Wunder also, dass ich erst die Fenster auf Zugluft kontrollierte, bevor ich darauf kam, dass Sleep durch sein famoses Zusammenspiel aus Kamera, Musik und Schauspiel eine wahrlich unheimliche Wirkung auf mich hatte. Der Film ist langsam und ohne Effekte inszeniert worden, er konzentriert sich schlicht auf die glaubwürdige Darstellung des Ehepaares, dass hier wahrlich schwer geprüft wird – aber nie die Liebe zueinander verliert! Die beiden lieben sich! Sie hält zu ihm, er hält zu ihr, beide wollen unbedingt als Paar diesen unheimlichen Horror durchstehen. Keine Vorwürfe, keine Zwietracht, keine Gewalt gegeneinander, kein Hass, keine Geheimnisse, kein Serienmörder, kein Horrorthriller-Bullshit aus der Hollywood-Kotztüte, kein CGI und Blut nur als Tropfen. Und trotzdem ist der Film so unheimlich, dass es mich 90 Minuten lang ohne Pause gruselte, bis in den Abspann hinein. Warum? Weil man es, dank der Schauspieler, nachvollziehen kann. Wir wissen, dass irgendetwas mit dem Ehemann passiert ist, aber er wirkt ganz normal, niemand wird direkt körperlich bedroht, dennoch liegt eine Bedrohung in der Luft. Die Gefahr ist spürbar, denn Soo-jin glaubt, dass ihr Mann ihr neugeborenes Baby töten möchte. Und ja, es gibt Anzeichen dafür. Doch dann gelingt Jason Yu ein weiterer Kniff in seinem wunderbar strukturierten Drehbuch, das erzählerisch eine Lehrstunde für Dreiakter ist. Plötzlich schafft es die Story ab Ende des zweiten Aktes, dass es dann doch vielleicht ganz anders sein könnte! Plötzlich wechselt der Film den Standpunkt und sät im Zuschauer wohlig spannende Zweifel, ob nicht doch die Ehefrau ein Problem haben könnte.
Jason Yu ist mit Sleep ein meisterliches Stück gruseliger Erzählkunst gelungen. Fein, ausgewogen, mit viel Gespür und Liebe für seine Hauptfiguren, schafft es der Film in einem gekonnten Zusammenspiel aus Musik, Kamera und Inszenierung einen der sympathischsten und unheimlichsten Psychothriller der letzten Jahre aus Korea zu inszenieren. Was mir wahnsinnig gut gefiel war, dass die Hauptfiguren stets zueinander halten, dass es kein böses Blut zwischen den beiden gibt. Was im Kern die Spannung sogar noch steigert. Endlich einmal eine Story ohne psychische Gewalt, Zwietracht und Missgunst. Sleep ist der erste Psychothriller/Gruselfilm seit 1989, den ich wirklich unheimlich fand, der mir wirklich eine angenehme Gänsehaut verpasste. Hier wurde eine tolle Idee mit wenig Aufwand gekonnt und schleichend-spannend in Szene gesetzt, gerne mehr davon. So geht Qualitätskino.

Das Bild der gesichteten Blu-ray ist sauber, satt und klar, der Ton ist gut. Als Extras gibt es ein Grußwort von Bong Joon-ho, Trailer und ein Interview mit Regisseur Jason Yu.
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