Es ist einfach etwas Schönes, wenn einen die Schreiberei dazu ermutigt mal wieder in der heimischen Filmsammlung zu stöbern und die ein oder andere liebgewordene Perle hervorzukramen. So kam ich mal wieder in den Genuss von Sidney Lumets Meisterwerk „Die zwölf Geschworenen“ (1957), den ich ohne zu zögern in meine persönliche Bestenliste packen würde. Ein intensives, dialoggetriebenes Kammerspiel, welches ich heute vorstellen möchte!

Originaltitel: 12 Angry Men

Drehbuch: Reginald Rose
Regie: Sidney Lumet

Darsteller: Henry Fonda, Lee J. Cobb, Martin Balsam, Jack Warden, Ed Begley, Robert Webber…

Artikel von Christopher Feldmann

Ich kann nicht wirklich genau datieren, wann ich „Die zwölf Geschworenen“ (1957) das erste Mal gesehen habe, es muss aber im Fernsehen gewesen sein, zu einer Zeit, als ich mit überschwänglichem Enthusiasmus anerkannte Klassiker geschaut habe. Eine Zeit, die ganz fantastisch war, da ich viele Perlen zum ersten Mal gesehen habe und ganz verzaubert von Regisseuren wie Hitchcock, Sturges, Hawks und eben Lumet war. Der nun vorliegende Film hat dabei einen besonders bleibenden Eindruck hinterlassen, setzt sich „Die zwölf Geschworenen“ doch intensiv mit der menschlichen Psychologie und der Gruppendynamik auseinander und stellt gleichzeitig einen Appell an das menschliche Verantwortungsbewusstsein dar. Ein durchweg geerdeter Film, der mit geringen Mitteln eine großartige Spannung aufbaut.

Es ist der heißeste Tag des Sommers, als sich zwölf Geschworene im Hinterzimmer des Gerichts versammeln, um über einen Schuldspruch abzustimmen. Ein achtzehnjähriger Puerto-Ricaner soll seinen Vater nach einem Streit erstochen haben. Bei Verurteilung erfolgt die Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl. Die Geschworenen sind sich ohne Diskussion sehr schnell einig, da man die Beweise als Stichhaltig ansieht und diesen Job möglichst schnell hinter sich bringen will. Lediglich der Geschworene Nr. 8 (Henry Fonda) stimmt für nicht schuldig, da er es als persönliche Verantwortung sieht, sich mit dem Fall auseinanderzusetzten, um einen Jungen nicht vorschnell in den Tod zu schicken. Es beginnt ein ausuferndes Wortgefecht, denn es treffen die unterschiedlichsten Persönlichkeiten aufeinander und bald ist es nicht nur das Wetter, welches für eine hitzige Stimmung sorgt.

Sidney Lumet gehört zu den ganz Großen seines Fachs. „Die zwölf Geschworenen“ (1957) stellt dabei „Network“ (1976) vorher nur für das Fernsehen tätig war. Auch „Die zwölf Geschworenen“ wurde vorher schon für das TV gedreht, im Jahr 1954, und mit der vorliegenden Fassung noch einmal für das Kino adaptiert. Das Drehbuch von Reginald Rose blieb dabei unverändert, ist es doch eigentlich das Prunkstück des Films. Dabei verliert sich das Skript nie in Plattitüden, sondern zeichnet durch seine scharf geschliffenen Dialoge die einzelnen Figuren, die wir ohne wirkliche Einführung vor die Nase gesetzt bekommen. Das Geschehen vermittelt uns die Charaktere, ihre Persönlichkeiten, ihre Werte, ihre Beweggründe und Motivationen. Ein exzellentes Beispiel für Erzählung ohne Exposition, da der Verlauf der Geschichte die Expositionen an die Zuschauer vermittelt. Doch „Die zwölf Geschworenen“ ist im Kern mehr, als ein klassisches Charakter-Drama. Hier geht es um menschliche Werte, um Verantwortung am Menschen und Schuld und Unschuld und um den berechtigten Zweifel an eben jener Schuld. Ob der Angeklagte letztendlich die Tat wirklich begangen hat, ist gar nicht so wichtig, der Film stützt sich auf dem Gedanken, einen Menschen nicht vorschnell zu verurteilen, sondern sich die Indizien genau anzusehen, um der Verantwortung als Geschworener gerecht zu werden. Das ganze wird in einen Film verpackt, der so spannend und emotional geschrieben wurde, dass zu keiner Zeit Langeweile entsteht. Alle Protagonisten haben unterschiedliche Wesensarten. Nr. 8 ist der verantwortungsbewusste Mensch, der die Aufgabe hat den Anderen Sachverhalte stichhaltig zu präsentieren, damit Diese zum Nachdenken und zum Zweifeln angeregt werden. Nr. 7 ist beispielsweise der egale Typ, der lediglich schnell nach Hause möchte, um sein Footballspiel zu sehen. Er ändert auch zu einem Zeitpunkt seine Meinung, um die Sache zu beschleunigen und wird, zu Recht, von beiden Parteien angefeindet. Dann gibt es noch den Geschworenen Nr. 12, der aus der Werbe-Branche kommt und Streitgespräche nicht gewohnt ist, sondern eher kreative Prozesse. Er ist mit der Zeit sichtlich überfordert und ändert gleich mehrfach sein Urteil. Der Geschworene Nr. 10 ist der typische Rassist, der von der Schuld, aufgrund der Herkunft des Angeklagten, fest überzeugt ist. Am interessantesten ist wohl der Geschworene Nr.3, der bis zum Schluss an der Schuld festhält und aufbrausend und forsch argumentiert. Seine Beweggründe werden letztendlich offen gelegt und offenbaren ein tragisches Schicksal, sowie ein zerbrochenes Inneres. All diese Persönlichkeiten verschärfen sich mit Verlauf des Films und sind eine Benchmark für ein charaktergetriebenes Drehbuch.

Regisseur Sidney Lumet beweist derweil ein sicheres Händchen für seine Inszenierung. Diese gleicht einem Theaterstück, was Sinn macht, da sich Alles in einem Raum abspielt. Die Kamera ist immer nah am Geschehen und überzeugt durch eine schöne Führung, gekonnte Einstellungen und hitzige Nahaufnahmen. Fast schon klaustrophobisch wird das Geschehen eingefangen und vermittelt durch einfache Kniffe die Beengtheit und die Hitze, die die Protagonisten umgibt. So sehr, dass man als Zuschauer fast selbst schon ins Schwitzen kommt. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass der Film in Schwarz/Weiß ist. Diese Form der Inszenierung sollte Lumet noch bei der Agatha Christie-Verfilmung „Mord im Orient-Express“ (1974) anwenden. Getragen wird der Film natürlich von der herausragenden Besetzung. Henry Fonda, der wohl prominenteste Akteur des Films, fungiert als Sympathieträger, der aufrecht und verantwortungsbewusst ist. Seine Darstellung ist weniger impulsiv, sondern geerdet und erzeugt einen emotionalen Anker für den Zuschauer. Abseits davon können die restlichen Darsteller ordentlich aufdrehen. Besonders Lee J. Cobb als Geschworener Nr. 3 bringt alle Aggressionen und Abgründe seiner Figur auf die Leinwand und erzeugt beim Zuschauer Abscheu, sowie Mitleid, während Ed Begley als Nr. 10 den unsympathischen Rassist mit Bravour verkörpert. Der Rest ist vollends treffend besetzt und agiert perfekt im Einklang. Sie zeigen auf, wie kritisch man das amerikanische Justiz-System sehen kann, denn Urteile können somit abhängig von Tagesformen, Stimmungen und persönlichen Einstellungen sein. Dies kreidet der Film an und appelliert an eine objektive Betrachtung.

Im Jahr 1997 entstand unter der Regie von William Friedkin ein Remake, in welchem Stars wie Jack Lemmon, James Gandolfini, George C. Scott und Armin Müller-Stahl zu sehen sind. Wer ein Problem mit der Schwarz/Weiß-Optik haben sollte, kann auch problemlos zu dieser Version greifen. Ich ziehe aber die Originalversion vor.

Fazit:

Sidney Lumets „Die zwölf Geschworenen“ (1957) ist ein Appell an Verantwortung und gleichzeitig eine Kritik an subjektivem Urteilsvermögen im Geschworenenzimmer. Darüber hinaus brilliert der dialoggetriebene Film mit herausragenden Schauspielleistungen, einer dichten Inszenierung und einer Spannung, von der sich viele andere Filmemacher eine Scheibe abschneiden sollten. Ein wahrer Klassiker und einer meiner Lieblingfilme!

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