Das NEW HOLLYWOOD-Kino hat einige Filme hervorgebracht, die heute als Meisterwerke angesehen sind. Aber es gibt immer noch eine gewisse Anzahl von Perlen, die, nicht unbedingt unentdeckt, aber sicher unterpräsent ihr Dasein fristen und oftmals vergessen werden, wenn es um die 1970er geht. STOPPT DIE TODESFAHRT DER U-BAHN 123 (1974) ist so eine Perle, ein meisterlicher Thriller, der seit einiger Zeit in einer angemessenen Veröffentlichung zu bekommen ist. Grund genug, den Streifen mal wieder zu sichten.

Originaltitel: The Taking of Pelham One Two Three

Drehbuch: Peter Stone; nach dem gleichnamigen Roman von John Godey
Regie: Joseph Sargent

Darsteller: Walter Matthau, Robert Shaw, Martin Balsam, Hector Elizondo, Earl Hindman, Jerry Stiller…

Artikel von Christopher Feldmann

Meine persönliche Geschichte hinter Joseph Sargents STOPPT DIE TODESFAHRT DER U-BAHN 123 (1974) erzählt sich relativ unspektakulär. Ich war ungefähr zarte 16, wenn ich mich nicht irre, und durchstreifte das Fernsehprogramm auf der Suche nach geeignetem Futter, um meine cineastischen Gelüste zu befriedigen. Die eigene Sammlung war zu diesem Zeitpunkt noch recht überschaubar und das Internet auf dem Dorf zu langsam um Piraterie zu betreiben. Es war recht schwer, die Klassiker und Genre-Highlights zu erhaschen, deren Existenz mir durch diverse Blogs und andere Internetseiten bekannt waren. Eines Abends blieb ich auf DAS VIERTE hängen, einem Sender den es heute nicht mehr gibt und der zu diesem Zeitpunkt einen Western mit John Wayne zeigte. Im Anschluss sollte TODESFAHRT laufen, einen Titel, den ich schon länger auf der Watchlist hatte (den Begriff verwendete ich damals natürlich noch nicht) und den ich unbedingt sehen wollte. Gesagt, getan und ich war begeistert von diesem hundertminütigen Kriminalfilm. Ich kaufte mir später sogar die DVD, welche mir aber in den folgenden Jahren irgendwie abhandengekommen ist. Im letzten Jahr, also 2018, freute ich mich wie ein gutes Schnitzel, als ich las, dass OFDB FILMWORKS den Streifen im Mediabook mit neuem HD-Master auf den Markt bringt, ein Pflichtkauf war angesagt und eigentlich wollte ich diesen Artikel direkt nach der Sichtung der Blu-Ray schreiben aber wie das nun mal so ist, ging das irgendwie unter. Nun war mir wieder nach dem Film und ich sah meine Chance gekommen, doch noch mein Loblied auf die TODESFAHRT zu verfassen, einen hochspannenden, stilsicheren und famos gespielten Krimi, irgendwo zwischen Entführungsthriller und Heist-Movie, im schönsten 1970er Jahre-Kolorit.

Handlung:
Damit hat wohl niemand gerechnet. Vier bewaffnete Gangster entführen am helllichten Tag eine U-Bahn in New York, die PELHAM 123, benannt nach ihrer Endstation und der Abfahrtszeit, 1:23 Uhr.
Die Gruppe der Kriminellen, bestehend aus dem Anführer Mr. Blue (Robert Shaw) und seinen Handlangern Mr. Green (Martin Balsam), Mr. Grey (Hector Elizondo) und Mr. Brown (Earl Hindman), kontaktiert über Funk die U-Bahn Polizei und stellt ihre Forderung: Eine Millionen US-Dollar Lösegeld für die Geiseln. Sollte das Geld nicht innerhalb der nächsten Stunde eintreffen, wird für jede überzogene Minute eine Geisel erschossen. Am anderen Ende nimmt Lt. Zachary Garber (Walter Matthau) die Verhandlungen auf. Das Geld soll gezahlt werden, um unschuldige Opfer zu vermeiden. Während die Polizei rätselt, wie die Gangster aus dem Tunnel entkommen wollen, ist sich Garber sicher, dass man es hier mit Profis zu tun hat, die alles genau voraus geplant haben.

Allein der Beginn von TODESFAHRT gestaltet sich schon unfassbar treibend. Zu einem impulsiven Jazz-Score sehen wir die vier Gangster, die nacheinander den titelgebenden Zug besteigen. Alle in Mäntel gehüllt, mit Brillen und falschen Bärten ausgestattet und zu Allem bereit. Es sind schon diese ersten Minuten, in denen angenehm Spannung aufgebaut wird und der Zuschauer darauf wartet, dass unsere Schurken auf einmal wild mit ihren Knarren herumfuchteln. Doch dem ist nicht so, denn es ist lediglich Mr. Blue, der ganz lässig, bevor er einsteigt, zum Fenster des Zugführers geht und ihm die Pistole an den Kopf hält. Nicht der einzige Moment, in dem mit den Erwartungen gespielt wird. Was darauf folgt, ist ein klassischer Krimi/Thriller, wie sie eigentlich nur in den 1970ern gedreht wurden. Das Drehbuch, welches nach dem Roman ABFAHRT PELHAM 1 UHR 23 von John Godey entstand, beherrscht perfekt die Mechanismen des Genres und konstruiert ein kleines aber feines Katz- und Mausspiel, welches sich größtenteils über ein Funkgerät abspielt. Das so etwas hochspannend sein kann, beweist Autor Peter Stone mit Bravour. Dessen scharfe Dialoge sind es, die den Film vorantreiben und aus Walter Matthau und Robert Shaw zwei brillierende Kontrahenten machen, obwohl sie sich erst kurz vor Schluss gegenüberstehen. Was besonders förderlich ist, ist die Tatsache, dass die Gangster ebenfalls eine eigene Dynamik besitzen. Während Shaws Mr. Blue der kühle Kopf der Bande ist, der die Gespräche führt, das Sagen hat und sich gewählt und intelligent ausdrückt, ist Martin Balsam der eher ruhige Typ, der eigentlich gar kein Gangster ist, sondern aus eigenen Beweggründen mit von der Partie ist. Die anderen Beiden sind gewöhnliche Kriminelle, von denen Mr. Grey als der schießwütige Berufskiller charakterisiert wird. Somit folgen wir auch oft dem Geschehen in der U-Bahn, da sich die Entführer beraten müssen oder Mr. Blue seine Leute im Zaum halten muss. Eigentlich wollen sie niemanden töten, sondern nur kassieren, aber durch die eigenwilligen Charaktere verschieben sich oft die Perspektiven und auch Mr. Blue macht den Eindruck, dass er durchaus zum Töten bereit ist, wenn es denn sein muss. Durch diese Faktoren bleibt man auch immer bei der Stange, da man sich nie sicher ist, was als Nächstes passieren könnte.

Auf der anderen Seite bekommt man einen durchaus ansprechenden Eindruck von dem Alltag bei der U-Bahn. Das beginnt schon mal damit, dass Matthaus Figur zu Beginn eine Gruppe japanischer Gäste durch die Kommandozentrale führt. Hier, und auch in anderen Momenten, lässt es sich der Film nicht nehmen etwas Sinn für Humor zu zeigen. Lt. Garber ist ein eher zerknautschter Typ, der seinen Dienst schiebt aber nicht unbedingt den größten Arbeitseifer an den Tag legt. So gibt er hin und wieder ein paar schöne Sprüche zum Besten aber wenn es darauf ankommt ist er hochkonzentriert und mit scharfem Verstand bei der Sache. Er erweist sich als einziger, der fähig ist, mit Mr. Blue zu verhandeln. Andere Figuren kommen dabei weniger gut weg, womit die Politiker gemeint sind. Ein klassisches Motiv des NEW HOLLYWOOD, welches immer wieder Kritik an der Gesellschaft und dem Staat übte. Besonders der Oberbürgermeister wird hier als absolutes Zäpfchen dargestellt, der unfähig ist, eine Entscheidung zu treffen und mehr enttäuscht darüber ist, dass er seine TV-Show im Fernsehen verpasst, als über die Tatsache, dass mehrere Menschen festgehalten werden. Er entscheidet sich daher nach dem Rat seiner Frau, da er im Anschluss zumindest 18 sichere Stimmen hätte.

Regisseur Joseph Sargent, der sich leider auch für den unsäglichen DER WEIßE HAI – DIE ABRECHNUNG (1987) verantwortlich zeichnete,  hat, entgegen seiner späteren Karriere, hier alles fest im Griff. STOPPT DIE TODESFAHRT DER U-BAHN 123 ist keine Minute zu lang und atmosphärisch dicht, ohne dabei groß auf die Pauke zu hauen. Der Großteil des Films besteht aus Szenen in der U-Bahn und in der Kommandozentrale, lediglich hin und wieder wird auch die Polizei gezeigt, die sich über dem Bahnhof stationiert hat. Dabei wird Sargent aber nie statisch, sondern findet immer wieder Einstellungen und kleine Details, die den Film bis zum Schluss in Bewegung halten. Man teilweise das Gefühl einen Actionfilm zu sehen, obwohl kaum etwas actionreiches passiert. Die Bildsprache ist ruhig und das Tempo hoch, eine Meisterleistung. Natürlich tragen auch die Schauspieler ihren Teil dazu bei. Walter Matthau, der damals eher für komödiantische Kost, vor Allem mit seinem Leinwandpartner Jack Lemmon, bekannt war, ist hier in einer seiner wenigen ernsten Rollen zu sehen, auch wenn hin und wieder der typisch zerknautschte Matthau-Humor aufblitzt. Trotzdem ist er der Rolle absolut gewachsen. Der ehemalige Bond-Schurke Robert Shaw (LIEBESGRÜßE AUS MOSKAU, 1963) erweist sich indes als Idealbesetzung für den abgebrühten, intelligenten Kopf der Entführerbande und brilliert durch seine finstere Aura und seine Höflichkeit. Daneben sind mit Martin Balsam und Hector Elizondo ebenfalls hochkarätige Schauspieler zu finden, die allesamt hervorragend agieren. Wer gut aufpasst, kann neben Shaw einen weiteren ehemaligen Bond-Bösewicht ausmachen. Julius Harris, der in LEBEN UND STERBEN LASSEN (1973) TeeHee verkörperte, ist hier in einer Nebenrolle als Inspector zu sehen. Und dann ist da natürlich noch Jerry Stiller, unser Arthur Spooner aus KING OF QUEENS (1998-2007), der als Lt. Rico Patrone zu sehen ist. Hervorzuheben ist natürlich noch der großartige Score von David Shire, der stark an die Arbeiten von Lalo Schifrin erinnert. Die jazzige Vertonung ist über den ganzen Film hinweg besonders aggressiv, was die Spannung nur noch mehr steigert.

Natürlich blieb es nicht bei diesem Film. Bereits 1998 entstand eine Neufassung für das Fernsehen, mit dem deutschen Titel U-BAHN-INFERNO: TERRORISTEN IM ZUG, in dem unter anderem Donnie Wahlberg als einer der Gangster zu sehen ist. Die bekanntere Neuverfilmung stammt jedoch aus dem Jahr 2009 und wurde von Tony Scott inszeniert. Allerdings bleibt das Remake DIE ENTFÜHRUNG DER U-BAHN Pelham 123 hinter dem Original zurück, da man hier mehr auf Action gesetzt hat. Die Hauptrolle des Lt. Garber übernahm Denzel Washington, als Gegenspieler wurde John Travolta gecastet.

Seit November 2018 ist der Klassiker im schicken Mediabook von OFDB FILMWORKS erhältlich, welches die deutsche HD-Premiere darstellt. Bis Dato musste man sich mit der alten MGM-DVD zufrieden geben aber nun erstrahlt der Streifen im schicken HD-Glanz, durch den man ein sattes, detailreiches Bild bekommt, welches aber nicht glattgefiltert wurde. Auch in dieser Variante ist ein schönes Filmkorn vorhanden, was der Retroist durchaus zu schätzen weiß. Neben der DVD-Version bietet die Edition ein informatives Booklet von Thorsten Hanisch, diverse Interviews, ein TRAILERS FROM HELL-Featurette, eine Location-Tour, eine isolierte Musikspur, sowie Bildergalerie und Trailer. Ein Rundumsorglos-Paket also.

Fazit:
STOPPT DIE TODESFAHRT DER U-BAHN 123 (1974) ist für mich ein großer Klassiker des Kinos der 1970er Jahre. Ein spannend inszenierter Kriminalfilm, der ein hervorragendes Drehbuch ebenso sein Eigen nennen kann, wie auch eine atmosphärische Inszenierung und einen treibenden Score. Dazu gesellt sich ein großartiges Ensemble aus profilierten Schauspielern, die allesamt restlos überzeugen. Ein wahres Meisterstück des Genres, der jetzt endlich auf blauer Scheiben genossen werden kann. Ein Muss für jeden Fan klassischen Spannungskinos!

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